FSK 16

In meine Timeline flatterte neulich die Begründung der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft), den Film Romeos ab 16 freizugeben.
Nachzulesen auf der Webseite der Regisseurin: http://sabine-bernardi.de/

Die Begründung ist fürchterlich, trieft vor Heteronormativität und obwohl ich glaube, dass sie nicht so überraschend ist, werde ich trotzdem mal ein paar Wuttasten über sie ergehen lassen. Weil ich mich wirklich geärgert habe.

Der Film selbst interessierte mich bisher nicht so sehr, ich steh nicht so auf Liebesfilme. Er kommt jetzt in Hamburg ins Kino, mag sein, dass ich ihn dann doch noch mal gucke. Mich interessiert tatsächlich auch nicht wirklich, ob der Film nun ab 12 oder ab 16 gesehen werden darf, wobei ich schon mitgekriegt hatte, dass Romeos eher seicht im Sinne von nicht so aufregend ist.

Ganz kurz und so weit ich weiß: Romeos ist ein Film über einen jungen Transmann, der sich in einen Cistypen verliebt, sich aber offensichtlich erst mal nicht (edit wegen eigener Ungenauigkeit:) trans*outen will. Was zu einigen Situationen führt. Die Geschichte dreht sich dann um die beiden und die beste Freundin des Protagonisten, die ihn noch von früher kennt. Also wohl eine Coming Out / Coming of Age – Geschichte mit trans* und schwul/lesbischem Einschlag.

Was mich an dieser Stelle umtreibt, sind die Gründe der FSK, den Film nicht, wie angefragt, ab 12 freizugeben. Ich werde mir also die Begründung in Zitaten hier etwas genauer angucken. Pfui und los geht’s:

„Der Film zeigt einen leidenden jungen Menschen, der auf seinem Weg der Geschlechtsumwandlung mit seinem Umfeld, mit Spott und Vorurteilen zu kämpfen hat. Damit behandelt der Film ein schwieriges Thema, welches für die Jüngsten der beantragten Altersgruppe, die sich in diesem Alter in ihrer sexuellen Orientierungsphase befinden, sehr belastbar [sic] sein könnte.“

Moment. Ich dachte, Kindheiten haben die ganze Zeit damit zu tun, wie es sich mit einem auch mal fiesen Umfeld, mit Spott und mit Vorurteilen klarkommen lässt? Das Leben von Kindern ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Kinder sind in dem Alter schon zu grandiosen Reflexionsleistungen fähig und ich bin mir sicher, dass das der FSK nicht unbekannt ist. Es gibt diverse Kinder- und Jugendbücher und -Filme, die sich darum kümmern, Kindern „schwierige Themen“ nahezubringen, um ihnen das eigene Leben zu erleichtern. Dazu gehört durchaus auch Sexualität. Das Zitat hakt.

Tatsächlich ergibt der Satz oben erst wieder Sinn, wenn ich ihn in einen ganz bestimmten Kontext packe. Nämlich den gepanschter Cis- und Heteronormativität. Der wird oben schon angerissen: (Ironiemodus) Das mit der Geschlechtsumwandlung ist ein Problem und kann für Kinder in ihrer sexuellen Orientierungsphase sehr belastend sein. Also sollten sie damit besser nicht in Berührung kommen. (/Ironiemodus)
Dazu kommt ja noch das mit der Homosexualität:

„Das Thema selbst [bezieht sich irgendwie auf das Zitat oben, ist ja auch irgendwie echt kompliziert] ist schon schwierig für 12- bis 13-Jährige und die Schilderung einer völlig einseitigen Welt von Homosexualität im Film könnte hier zu einer Desorientierung in der sexuellen Selbstfindung führen.“

Das ist eindeutig. Es werden reihenweise Filme mit expliziten sexuellen Inhalten ab 12 Jahren freigegeben, in denen eine völlig einseitige Welt von Heterosexualität gezeigt wird. Die FSK vermutet nicht, dass diese Filme Kinder verwirren könnten. Die Vorstellung, Homosexualität im Film führe zu Desorientierung, geht aber auch nur, wenn Heterosexualität naturalisiert wird und damit nicht nur das ist, was innerhalb der Gesellschaft normal und gewünscht ist, sondern auch das, wohin sich Kinder ohne Desorientierung entwickeln werden.
Heterosexualität ist hier die Ausgangsposition, von der es nur desorientierte Abweichungen geben kann. Offensichtlich erkennt die FSK hier eine so schwere Abweichung, dass Menschen bis 15 davor geschützt werden müssen.

Tatsächlich schießt sich die FSK selbst ins Aus, indem sie schon bemerkt, dass die Natürlichkeit der cissexuellen Findungsphase offensichtlich schon durch einen einzigen nicht-ganz-heterosexuellen Film empfindlich gestört werden kann. Vielleicht ist das mit der Heterosexualität doch nicht so natürlich, vollorientiert und unproblematisch.

Ganz nebenbei finde ich es erstaunlich, dass dieser Film einseitig homosexuell ist. Heißt das, dass hier nur Szenen aus der schwullesbischen Szene vorkommen? Oder dass alle Szenen, in denen größere Gruppen oder Alltagssituationen gezeigt werden, nur von Homosexuellen bevölkert werden? Letzteren Film würde ich der FSK ja tatsächlich gerne wünschen, um eine Ahnung davon zu schaffen, wie vollkommen heterosexuell eigentlich *fast alle anderen* Filme sind.

„Die explizite Darstellung von schwulen und lesbischen Jugendlichen und deren häufige Partnerwechsel können verwirrend auf junge Zuschauer wirken, auch wenn der Film auf Bildebene [sic] nicht schamverletzend ist und niemanden diffamiert.“

Wunderbar, die FSK wälzt sich schnell noch in (nebenbei: wirklich alten!) Vorurteilen, ist ja auch furchtbar, diese promiskuitiven Schwulen und Lesben! Ich sehe vor meinem geistigen Auge haufenweise 12- und 13-Jährige ihre monogamen Langzeitbeziehungen beenden und nun mit der_dem Sitznachbar_in auf der linken Seite rumknutschen! Sodom und Gomorrha! Das haben wir hier nämlich:

„Der Film spiegelt eine verzerrte Realität wider, die Kinder aufgrund keiner oder zu geringer Erfahrungen nicht erkennen können.“

Okay. Verzerrte Realität – soll ich das noch mal kommentieren? Wenn Realität nur aus Heterosexualität bestehen kann, dann muss sie ja verzerrt werden, wenn denn mal was anderes vorkommt. Das Zitat gibt doch zu denken: Viele deutsche Kinder verfügen noch mit 12 oder 13 über erschreckend desorientierte einseitige Erfahrungen!

Die Kinder ohne Erfahrung freuen sich ja vielleicht sogar über Horizonterweiterungen. Die Tatsache, dass es Kinder gibt, die mit dem Film noch viel mehr anfangen können oder ihn sogar für die sexuelle Selbstfindung bitter nötig hätten, würde die FSK wahrscheinlich implodieren lassen.
Und rein aus Interesse: Wenn die Kinder die verzerrte Realität sowieso nicht erkennen, warum können sie dann den Film nicht einfach sehen?

„Der Film bedient sich keiner zotigen Sprache und diskriminiert Homosexuelle nicht, so dass er für ältere Altersgruppen nicht als problematisch beurteilt wird.“

Da hat der Film seiner Beurteilung aber einiges voraus.

Dieser Dreh in der Begründung hat mich wirklich fasziniert, die FSK positioniert sich hier tatsächlich als Kämpferin gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben.

„Für ältere Rezipienten ist die Filmgeschichte einordbar und verkraftbar.“

Wenn die natürlich-heterosexuell entwickelten Jugendlichen dann mit 16 ihre sexuelle Orientierungsphase hinter sich gelassen haben, kann man sie den Gefahren homosexueller Verzerrungen und Desorientierungen aussetzen. Die Jugendlichen werden die Homosexuellen entsprechend einordnen und verkraften können und gehen gestärkt aus diesem schwierigen Thema hervor.

Btw: Ging es nicht anfangs noch um trans*? Das Thema ist irgendwie bei all der Homosexualität auf der Strecke geblieben. Wahrscheinlich bestand wieder Implosionsgefahr.
Aber ehrlich: Eine Begründung, in der der Protagonist eine „Transformation von einer Frau zu einem Mann“ macht, während er „eigentlich ein Mädchen ist“ und in der unter dem Begriff „Coming Out“ schwules und trans* Coming Out wahllos gemischt und verwechselt werden. Was hab ich denn anderes erwartet?

20 Gedanken zu „FSK 16

  1. kiturak

    heilige Scheiße.

    Aber ehrlich: Eine Begründung, in der der Protagonist eine „Transformation von einer Frau zu einem Mann“ macht, während er „eigentlich ein Mädchen ist“ und in der unter dem Begriff „Coming Out“ schwules und trans* Coming Out wahllos gemischt und verwechselt werden. Was hab ich denn anderes erwartet?

    Ich hab‘ grad tatsächlich zum ersten Mal die Begründung selbst gelesen, und: jep. Dazu fällt mir echt nichts mehr ein (vermutlich, weil ich davon so „verwirrt“ bin). Aber: YAY für die langzeitmonogamen 12-Jährigen! 😀 Und, kann jemand diese Leute einfach rausschmeißen? bitte?

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  2. kiturak

    Hehe, Deine Formulierung war übrigens auch verwirrend,

    Ganz kurz und so weit ich weiß: Romeos ist ein Film über einen jungen Transmann, der sich in einen Cistypen verliebt, sich aber offensichtlich erst mal nicht outen will.

    als trans* outen, richtig? Weil, wenn ich das FSK-Orakel richtig deute, ist er (zumindest dem Cistypen gegenüber) dann schon als schwul geoutet, weil, sie haben eine Beziehung? Und der Cistyp ist seinerseits ev. garnicht schwul, sondern vielleicht bi/pan/queer, weil er dann „eine Liebelei mit einem Mädchen“ anfängt? Das interessiert mich natürlich wieder, auch weil wirklich so auffallend ausschließlich im „schwullesbisch“-hetero-Schwarzweiß formuliert wird.
    Und, Extrapreis für völlig schräge bis ahnungslose Wortwahl: „In Köln weis außer seiner Freundin, der Leiterin des Wohnheims und deren Chef keiner von Lukas‘ Coming Out.“ – ich glaube nicht, dass das bedeutet, was Sie denken, dass es bedeutet.
    … Sorry für Kommentarlawine.

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  3. laufmoos

    Hähä, kiturak, Du hast recht! Ich guck mal, ob ich den Satz doch etwas eindeutiger formulieren kann.

    Das Zitat in Deinem zweiten Kommentar meinte ich übrigens auch – der ganze Text schreit nur so vor Ahnungslosigkeit.

    Romeos queer lesen – warum nicht? Ich hatte den Film allerdings nicht so verstanden. Vielleicht sollte ich mir den doch mal angucken. Immerhin ist es ja auch eine Seltenheit, wenn Trans*Kinofilme laufen.

    Nix da sorry für die Kommentarflut! Ich freu mich!

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    1. Name

      Romeos queer lesen – warum nicht?

      Bezieht sich das auf die pan-Anspielung von kiturak? Ich horche auf. Ist der Film in deinem Verständnis nicht queer? Weil binär identifizierte Charaktere?

      Ich steh ja grade an ner anderen Stelle, in der ich mich damit auseinandersetze, dass für manche Leute queer lediglich LGBT ohne Mitdenken von nicht-binären Identitäten bedeuten könnte. Interessant, dass du das vielleicht genau andersherum siehst.

      Vielleicht verstehe ich dich aber auch falsch. Flashiger Gedanke trotzdem.

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  5. semiramis

    Ich finde es spannend, dass Coming-of-Age- und Coming-Out-Erzählungen bei dir zusammenfallen. Mich treibt seit einiger Zeit die Frage um, es eine queere „master narrative“ gibt, also eine Erzählung, die als normativ und auch als strukturell gleich bei queeren Lebensformen gesetzt wird:

    „Also wohl eine Coming Out / Coming of Age – Geschichte mit trans* und schwul/lesbischem Einschlag.“

    Die Geschichte selbst hat nicht nur den Einschlag, sie ist eine komplette trans-Erzählung, würde ich sagen.

    „[Der Kontext gepanschter Cis- und Heteronormativität] wird oben schon angerissen: Das mit der Geschlechtsumwandlung ist ein Problem und kann für Kinder in ihrer sexuellen Orientierungsphase sehr belastend sein. Also sollten sie damit besser nicht in Berührung kommen.“

    Auch würde ich ‚Geschlechtsumwandlung‘ für ein Problem halten. Aber ich glaube, darum ginge es eher der FSK als dir. Diese wäre eine Umwandlung des eigenen gefühlten und/oder gelebten Geschlechtes in ein anderes. Etwas, was die FSK fürchtet, und was ein queerphobes Vorurteil ist, dass queere Menschen andere ‚umdrehen‘. Und dagegen wendet sich der Film und auch du. Ich nehme an, hier geht es um ‚Geschlechtsangleichung‘, da das ‚biologische‘ dem gefühlten angeglichen wird.

    Ich bin auch selbst kritischer geworden. Das Interessante und Spannende in der Diskussion ist für mich, wie ein Film, den mich dramaturgisch und plottechnisch nie aus den Socken gehauen hätte, solche weiten Kreise ziehen kann. Begonnen mit der binären Geschlechterordnung im Film selbst über die verqueren Worte des FSK und die Blogossphäre, die versucht, die eigenen queeren Worte zu finden. So wie der Film Transphobie in der schwullebischen (Kölner) Community bloßstellt, stellt er auch unsere/meine bloß. Auch meine Vorurteile.

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  6. laufmoos

    Danke für die langen und ausführlichen Kommentare! Ich merke, dass ich mich offensichtlich an mehreren Stellen nicht ganz klar ausgedrückt oder nicht genug spezifiziert habe, das versuche ich hier mal anzugehen.

    Wegen der Inhaltsfülle eurer Antworten splitte ich mal meine. 🙂

    kiturak und Name – zum Queerlesen:

    Also wie gesagt: Ich habe den Film nicht gesehen, sondern beziehe mich nur auf die FSK-Begründung. Dazu habe ich den offiziellen Trailer gesehen und zwei Kurzinterviews mit der Regisseurin, die ich aber in den Text nicht offensichtlich mit reingenommen habe. Insofern würde ich mich ungern an inhaltlichen Debatten beteiligen, bevor ich den Film gesehen habe. Mein Ärger bezog sich tatsächlich erst mal nur auf die FSK-Begründung.

    Damit ist es auch schwierig für mich, verschiedene Lesarten an den Film anzulegen. Ich finde generell die Möglichkeit, Filme auf verschiedene Arten zu lesen, reizvoll.

    kiturak – allerdings merke ich, dass ich die Lesart „Cistyp verliebt sich doch nicht schwul, sondern in ein Mädchen“ an dieser Stelle dann doch zu trans*verschweigend finden würde. Ich würde in dem Kontext aufpassen, was der Film an normativen Lesarten bedienen kann, wenn man eigentlich gerade andere anlegen wollte. Äh, war das verständlich?

    Name – ich verstehe queer nicht als LGBT. Auch eigentlich nicht als nicht-binäre Identität, sondern vor allem als kritisches Handeln oder Gegendenken von Normen. Vor allem wohl Geschlechternormen (auch aus der Begriffshistorie raus), gerne aber auch anderen Normen.

    (Ich bezeichne mein eigenes Leben aber auch manchmal als queer, also ich schließe da eine identitäre Nähe nicht aus. Das mit der Identität ist aber auch noch mal kompliziert und passt nicht in diese Antwort.)

    In dem Fall wäre das Queerlesen für mich nicht das Suchen von pan-Begehren oder -Beziehungen im Film, sondern der Versuch, eher oberflächliche (nicht im Sinn von seicht, sondern im Sinn von „kann ich schnell erfassen, lassen sich schnell lesen“) Lesarten zu durchbrechen und nach welchen zu suchen, die mit Normen brechen (und das können aber gerne auch LGBT-Normen sein).

    Ich möchte über den Film inhaltlich nicht so viel sagen, jedenfalls nicht noch mehr, als ich schon getan habe, was möglicherweise auch schon viel war. Ich kann also nicht sagen, ob ich den Film queer finde oder nicht.
    Wenn ich einen Film als queer bezeichnen wollte, dann müsste der in meinen Augen schon mit ein paar Gewohnheiten brechen und mich so irritieren, dass ich merke, dass ich Normen aufgesessen bin. Ich finde es beispielsweise nicht ausreichend, wenn ein queerer Charakter vorkommt, da hängt es dann sehr davon ab, wie die Charaktere eingesetzt werden.

    Antworten
  7. kiturak

    Hu! danke!

    Äh, war das verständlich?

    Ich fürchte nicht 😀 also, nicht für mich, aber ich steh auch immer gern mal auf Schläuchen herum, und ich bin allenfalls Level 2-Queerdenkerin, was den Gender-/Orientierungskram angeht. Oder auch nicht. Oder doch. Ich bin Universaldilettant*in! Jedenfalls bin ich verwirrt, und die FSK ist schuld ^^

    „Cistyp verliebt sich doch nicht schwul, sondern in ein Mädchen“

    Du beziehst das aber nicht auf den Protagonisten, den ich/die FSK als „Mädchen“ gesetzt hätte, oder? Weil aaah, das wäre ja komplett daneben gewesen von mir, das meinte ich natürlich nicht. o.O Laut FSK-Beschreibung ging es ja um sone Ersatz-/Nebengeschichte mit irgendeinem Mädchen, die der Cistyp anfängt, wegen Krise&Drama in der „richtigen“, schwulen Beziehung.

    Oder meintest Du, wenn der Cistyp nun doch nicht „richtig“ schwul ist (sondern eben wegen der Beziehung zu einem Mädchen möglicherweise pan/bi/wasauchimmerorientiert), wird dadurch auch der Protagonist unter Umständen von Leuten nicht mehr als „richtig“ männlich gelesen bzw. ihre Beziehung als „richtig“ schwul?

    Also, will Dir jetzt auch gar keine Orakelei aufdrücken. Fand’s nur merkwürdig, das kleine Zusatzdetail in der Beschreibung. Er läuft hier nicht („Überraschung“ …), also kann ich’s nicht klären. Hm. *geht heteronormativen Schmachtfetzen lesen*

    … ahh! Habt Ihr gelesen, dass sie die Begründung geändert haben?

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  8. laufmoos

    semiramis, jetzt zu Deinem Kommentar:

    Ich würde für ein besseres Verständnis eigentlich gerne wissen, was Deine queer-Definition innerhalb Deiner Antwort war.

    Die Idee von der „master narrative“ finde ich spannend, würde aber bei meinem Verständnis von queer sagen, dass queer eigentlich keine master narratives produzieren sollte. Und wenn es das tut, dann wäre es vielleicht an der Zeit, dieses Handeln zu hinterfragen und zu brechen.
    (Und andererseits finde ich schon auch, dass es bestimmte queere Inhalte gibt, die jedenfalls mir immer wieder begegnen, aber ich denke da eher nicht an Coming Out-Geschichten.)
    Beziehst Du die master narrative auf die Coming Out/Coming of Age-Struktur? Ich glaube, es wäre spannend, das auf bestimmte Filme zu beziehen.
    Der queer-Begriff ist einfach so vielseitig, dass verschiedene Leute garantiert was verschiedenes darunter verstehen.

    Zum „Einschlag“ – sorry, da hängt es an meiner Wortwahl. Es sollte nicht so „nebenher“ klingen, sondern ich gehe davon aus, dass die Geschichte sich zentral um trans* und schwullesbische Themen/Personen/Lebenswelten dreht.

    Zur „Geschlechtsumwandlung“ – noch mal Entschuldigung, ich dachte, dass meine Ironie da besser rüberkommt.
    Um das also noch mal klarzustellen: Ich halte nichts von dem Begriff ‚Geschlechtsumwandlung‘ und verwende ihn nicht in meiner Alltagssprache. In meinem Verständnis drückt er sehr gut ein ‚Nichtverstehen von Trans*‘ aus und ich finde darüber hinaus, dass der Begriff eine gewaltvolle Komponente hat (das Gefühl kann Resultat der guten Trans*sozialisation sein).
    Dazu kommt, dass Geschlecht nicht „umgewandelt“ werden kann, jedenfalls eben nicht, wenn man gerade im medizinischen Feld unterwegs ist, in dem Geschlecht biologisch begründet wird. Definitiv ist mir der Begriff zu dichotom.
    Der Begriff ‚Geschlechtsangleichung‘ ist da schon besser, weil er impliziert, dass etwas Körperliches an ein schon bestehendes Selbst-Bild angeglichen wird. Das ist ja auch eine Erzählung von vielen Trans*leuten (aber nicht von allen) und insofern ist der Begriff eher vereinbar mit denen, die er bezeichnet.
    Btw. passt er mir persönlich nicht, ich spreche lieber von ‚Transition‘, weil mir das angenehm losgelöster von der Biologie erscheint.

    Was die weiten Kreise des Films angeht: Ich nehme den Film schon wahr als einen relativ „großen“ Film. Er war in Hamburg bei den Lesbisch Schwulen Filmtagen der Abschlussfilm und er kommt regulär in (nicht Riesen- aber) größere Kinos. Auf der Seite der Regisseurin lässt sich nachlesen, wo der Film schon überall war und wo er noch hinkommt. Das ist für einen Film, in dem es um einen Transmann geht, schon besonders. Mit der großen Verfügbarkeit und wohl auch großen Gefälligkeit (sonst wäre er eben nicht so breit rezipiert) zieht er meiner Meinung nach logischerweise auch weitere Kreise. Ich denke, Leute fühlen sich eher gezwungen, sich (kritisch/selbstreflektierend/etc.) mit einem Film auseinanderzusetzen, der die Grenzen der Subkultur so klar überschreitet.

    Meinst Du, dass Du durch den Film kritischer geworden bist?
    Und wenn Du meinst, dass der Film dazu führt, Trans*feindlichkeit bei sich zu entdecken (und im besten Fall sich damit auch noch auseinanderzusetzen), dann ist das tatsächlich ja ein gutes Resultat des Films.

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    1. semiramis

      Ich fange mal von unten an 😉 Und ich fürchte, die Antwort wird etwas länger.

      Ich würde nicht sagen, dass ich kritischer geworden bin – jedenfalls in engeren Sinne. Ich musste mich während des Sehens jedoch mit meinem eigenen Unbehagen der Geschlechter auseinandersetzen – ganz klassisch nach J. Butler. Und das ist gut. Das musste übrigens das ganze Publikum bei der Berlinpremiere. Ich habe das Unbehagen gespürt, dass immer wieder durch das Spiel mit den Stereotypen gebrochen wurde und deswegen für Lacher sorgte. Es hatte etwas Karthatisches an sich. Und ich glaube auch, dass er weitere Kreise zieht, als ich das hier angedeutet habe. Ich wollte ihn auch nicht kleinreden oder als Nischenfilm bezeichnen.

      Oje, ich fürchte, manchmal sehe ich das große „Sarkasmus/Ironie“-Zeichen nicht. Ich muss zugeben, ich kann auch ein Brett vor dem Kopf haben.

      Ich gehe bei einer master narrative – wie du – von einem normativen Herrschaftsinstrument aus. Meist von denjenigen, die sie gegen eine Gruppe benutzen wollen. Gerade bei der Sexualität war und sind das Medizin, Religion und Politik. Mit den Medien jetzt dabei. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass sie gerade auch nach Stonewall – jedenfalls in Europa/den USA – als Gegenstrategie benutzt wurde, womit eine zu erst einmal schwule Identität konstruiert wurde. Und diese beinhaltete eben die Coming-out-Erzählung als Teil der eigenen Entwicklung, die klassischerweise im Mittelpunkt einer Coming-of-Age-Story steht. Das war die Frage nach der politischen Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. So wie ich das bisher einschätzen konnte, ging es vor allem darum, die Unterschiedlichkeit zu schreiben und damit sich selbst zu er-schreiben. Also sich selbst mit eigenen Worten zu erfinden. Damit wurde und wird aber gerade eine master narrative erfunden. Ich würde auch sagen, dass damit normative Strukturen geschaffen werden, die zum Beispiel homosexuelle Erzählungen mit schwulen gleichsetzen. Oder eben die queere Szene als schwullesbisch definieren und damit trans*idente Menschen ausschließen.

      Und da bin ich bei queer. Du schreibst als Antwort zu „Name“:

      „ich verstehe queer nicht als LGBT. Auch eigentlich nicht als nicht-binäre Identität, sondern vor allem als kritisches Handeln oder Gegendenken von Normen. Vor allem wohl Geschlechternormen (auch aus der Begriffshistorie raus), gerne aber auch anderen Normen.“

      Ich finde die Idee des queeren Handelns spannend, betont es doch die Zeitweiligkeit, das Nicht-Festgelegte. Trotzdem würde ich es auf die Sexualität beschränken. Denn irgendwann würde der Begriff so aufgeweicht, dass er die Machtverhältnisse überdecken würde. Ich habe z.B. Probleme damit, wenn sich heterosexuelle Cis-Menschen als queer bezeichnen. Dies wäre eine Selbstbezeichnung aus einer privilegierten Position heraus, die den politischen Gehalt des Begriffs nicht mehr gerecht werden würde. Aber da bin ich mit meinen Gedanken noch nicht am Ende. Und das ist eines der Probleme, mit denen ich zu kämpfen habe bei meiner Suche. Ich habe da mehr Fragen als Antworten. 😉

      Antworten
  9. laufmoos

    kiturak:

    Okay, verstanden: Es ging um diese Nebengeschichte! Sorry!

    Also was ich meinte (was aber ja nun eigentlich gar nicht mehr gemeint ist, aber ich antworte trotzdem noch mal), war:
    Ich finde es schon spannend und gut, wenn in einem Film erzählt wird, dass Leute es einfach damit haben, sich in verschiedene Gender zu verlieben. Das nimmt ja schon normative Grenzen weg.

    Wenn es allerdings darum geht, dass sich jemand zuerst in einen Typen verliebt, der sich dann als trans* outet und auch als Frau weiterhin verliebenswert ist, dann fällt das nicht unter queering, sondern unter Trans*feindlichkeit. Das wollte ich mit meinem Geschwurbel ausdrücken. Also, was Du selbst ja auch sagst.

    Also – ich hatte nichts im Sinn mit irgendwelchen Aussagen über „richtige“ oder „nicht richtige“ Schwule, Männer oder Beziehungen. Ich denke, da war irgendwas missverständlich, da ich solche Diskussionen von mir aus gar nicht führen möchte. Und was die Sichten im Film angeht – naja, hab ich eben nicht gesehen.

    Nein, das mit der Begründung wusste ich noch nicht! Die werde ich mir mal durchlesen, danke für die Info! Das ist ja ganz spannend… 😉

    Antworten
  10. kiturak

    hu, ohje, und die ganze Zeit dachtest Du … ahh! ^^ SORRY für die Missverständlichkeit!
    Ja klar wär das trans*feindlich gewesen.

    Noch zu dem „richtig“ – nee, natürlich wär ich bei Dir nicht davon ausgegangen, dass Du so denkst – aber ich dachte, vielleicht könnte auf die Weise ’ne trans*feindliche Lesart bei rauskommen. Also, „Cistyp hat auch was mit ner Frau“ würde nicht gelesen als „Cistyp ist bi“(z.B.), sondern als „Cistyp ist eigentlich hetero“.

    Antworten
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  12. laufmoos

    semiramis,

    danke für die lange Antwort!

    Keine Entschuldigungen wegen des Sarkasmus-Dings, bitte! Ich hätte das ja durchaus auch besser kennzeichnen können – so von wegen, was von der Übersetzung von Gefühl in Schrift verloren geht… Ich hab’s jetzt geändert, ich denke, so ist es erkennbar.

    Spannend, Dein Text zur master narrative! Vielen Dank.
    Die Coming Out-Geschichte macht ja auch insofern Sinn als master narrative, als die beschriebenen Charaktere sich damit als eigenständige Persönlichkeiten ausdifferenzieren. Eben an genau dem Punkt, an dem sie anfangen, sich zu unterscheiden. Und ich denke auch, dass das Coming Out das Potenzial hat, den Zuschauenden die Figuren sympathisch zu machen.
    Und Du hast Recht, auch queerende Filmproduktionen arbeiten sich nach wie vor häufig an dem Moment des Anders-Werdens, Outens, Sich-Unterscheidens ab, auch wenn dort nicht mehr schwule Figuren dominieren. (Dafür dominieren m.E. häufig Maskulinitäten, aber anderes Thema.)

    Naja, wenn Du Dich auf Geschichtsschreibung oder -erzählung nach Stonewall beziehst – auch da hat sich ja eine sehr vielfältige (oder intersektionale) Geschichte sehr auf das Thema schwul eingeschränkt, da das einfach die wohl privilegierteste Gruppe war, was das Definieren und Räume einrichten/besetzen anging.

    Queer – ich finde es eigentlich gut, wenn der Begriff schwierig definierbar bleibt.
    Ich habe z.B. kein Problem damit, die Praxen verschiedener Leute als queer zu bezeichnen, gerne auch die heterosexueller Cis-Leute, aber stimmt, dabei beziehe ich mich zwar nicht ausschließlich auf Sexualität, aber zumindest auf einen Umgang mit Sexualität, Geschlecht und den daran hängenden Normen.

    Wie gesagt, ich finde im Unterschied dazu auch eine Selbstbezeichnung als queer sinnvoll, ich nutze die selbst, weil ich sonst keinen Begriff für Teile meines Lebens hätte. (Was den Begriff ja eigentlich auch wieder verwäscht und Namenlosigkeit hat ja auch eine wichtige Bedeutung.) Und auf der Ebene würde ich es auch merkwürdig finden, wenn sich Hetero-Cis-Leute als queer bezeichnen würden.

    Das mit queer und „nur oder nicht nur Sexualität“ hängt eigentlich auch an dem jeweiligen queer-Konzept. Als queeres Handeln begreife ich da schon ein generelles Infragestellen von Normen. Und da gehören dann nicht nur sexuelle dazu. Da packe ich eher einen intersektionalen Ansatz dazu und denke, dass queeres Handeln möglichst versuchen muss, aufmerksam für alle Herrschaftsverhältnisse zu sein. Dass das nicht funktioniert und deshalb immer Lernen bedeutet, finde ich in dem Zusammenhang sehr gut.

    Antworten
  13. laufmoos

    Und kiturak:

    Auch keine Entschuldigung, bitte! Es hat sich ja schon geklärt! 🙂

    Was Du da zur Bi-zu-Hetero-Verschiebung schreibst: Denke ich genauso.
    Da würde wohl Bifeindlichkeit ihr übriges tun und statt Bi- oder Pansexualität zu thematisieren oder im (Film)Raum stehen zu lassen wäre der Typ dann doch „eigentlich“ hetero.

    Antworten
    1. semiramis

      Ich will mich bei der Szene von Fabio („Cis-Typ“) und seiner (un-) passenderweise wirklich blonden Nachbarin gar nicht zu weit aus dem Fenster lehnen.
      Wenn ich jedoch der Erzählstruktur des Filmes folge, ist sie stereotyp und ganz klassisch seine „Streuprinzessin“. Auch wenn das im Film selbst keinen richtigen Sinn ergibt. Es wird angedeutet, dass er sich gegenüber seiner Familie nicht geoutet hat, auch wenn mich das bei seiner offensiven Art wundert. Die Beziehung zur und in der Familie wird nicht erzählt.
      Jedenfalls trifft er sich darum wohl auch mit der Frau. Was für einige Lacher sorgen soll, und es auch tut. Dass er auch bi sein könnte, wird im Film nicht thematisiert, ist – glaube ich – auch nicht angelegt. Ich habe den Film sehr gern gesehen, aber Identitäten jenseits von Dichotomien erzählt er nicht wirklich. Und das ist etwas schade, eben weil es sich um eine transidente Erzählung ist/sein soll.

      Ich muss jedoch für mich einschränkend sagen – je länger ich darüber nachdenke, dass, nur weil etwas nicht erzählt wird, es nicht automatisch nicht-existent ist. Da muss ich meine eigene Gefangenheit in heteronornativem Denken auch immer wieder überprüfen. Wie du sagst: vielleicht wurde es auch einfach im Raum stehen gelassen, und ich hätte für mich ein größeres Hinweisschild gebraucht. Oje, ich merke schon, damit bin ich noch lange nicht fertig 😉

      Antworten
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  15. semiramis

    Eine „Streu“- oder auch „Sand“person wird dafür benutzt, der Umgebung metaphorisch ‚Sand‘ in die Augen zu streuen, damit Familie, Arbeitskolleg_innen etc. uns nicht so sehen, wie wir vllt sind. Das kann die nutzende Person der benutzten sagen oder manchmal auch ohne deren Wissen tun. Ich kenne das von Freund_innen, die vor allem zu Hochzeiten auf dem Lande „Streu“-Menschen mitnehmen. Das ist ein Versteckspiel, meist der eigenen Sexualität oder des Begehrens, aber auch wenn von uns erwartet wird, zu einem bestimmten Alter schon eine Partner_in zu haben u.a. (Im Englischen gibt es das Wort „beard“. Ob das die passende Übersetzung ist, weiß ich nicht. Das ist aber ungefähr das Gleiche.)

    Bei Fabio mag das mehr mit seinem Unbehagen gegenüber dem eigenen Begehren von Lukas und damit mit seinen Zweifeln an seiner Männlichkeit zu tun haben als mit der Frage, ob er nun ‚hetero spielen‘ will oder nicht. Da ist der Film nicht so genau oder – vllt auch – gewollt ungenau, wie du auch in deinem Blogpost schreibst.

    Antworten
  16. Matthias

    Soso. Du nimmst also den Kommentar der FSK zu diesem Film auseinander, ohne den Film gesehen zu haben, lese ich das jetzt richtig?

    Sorry, aber das finde ich daneben. Es mag ja sein, dass du recht hast und die FSK ein Haufen kleinkarierter heteronormativer Spießer ist (das ist auch meine Meinung …), aber trotzdem erlaube ich mir kein Urteil darüber, ob ein 12jähriger so einen Film verkraftet, ohne ihn zu kennen.

    Ich befürchte ohnehin eher, werden Film *wirklich* nicht verkraftet sind Hetero-Eltern, deren 12jährige Kids ihnen Fragen stellen werden, um die sie eigentlich nur rumdrucksen können in ihrer bürgerlichen Verklemmtheit. (16jährige fragen natürlich auch. Aber typischerweise nicht in Fragesätzen und nicht seine Eltern.) Und genau die beschweren sich dann bei der FSK. Und bei der Blöd-Zeitung.

    Nebenbei bemerkt: Wer hat sich eigentlich diesen Orwell’schen Namen für die FSK ausgedacht? Freiwillig ist daran gar nichts und selbst- auch nicht.

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