Cis-Notizen

Es ist schon länger her, dass ich ein bisschen nach dem Aufkommen des Cis-Begriffs gesucht habe. Eigentlich wollte ich daraus eine Arbeit machen, dazu ist es aber nie gekommen. Die Infos liegen nun auf meinen Rechner rum und verschimmeln virtuell, deshalb pack ich sie hierhin, vielleicht können einige was damit anfangen. Sharing is caring und so (oder aber ihr kennt das sowieso schon). Ich werde den Textausschnitt nicht großartig bearbeiten, deshalb der etwas wissenschaftliche Stil und die teilweise veralteten sexualwissenschaftlichen Bezeichnungen. Sorry.

Note: Ich stehe nicht so auf Ursprungsmythen. Trotzdem hier die ersten Nennungen, die ich gefunden habe.
Ich vermute, dass es viele nicht dokumentierte „Erfindungen“ von Cis- als Bezeichnung gegeben hat, da sich cis- (diesseits) und trans- (jenseits) im Lateinischen nun mal gegenüberstehen.

Zur Prägung des Begriffes zirkulieren mehrere Herkunftsgeschichten. Gängig sind für die Schreibweise „cis“ der Verweis auf eine Äußerung Dana Leland Defosses (1994) in der alt.transgendered Newsgroup (Link) und auf eine Erklärung Carl Buijs‘ (1996) in der Newsgroup soc.support.transgendered (Link). Defosse nannte in einem Unterstützungsgesuch zu Forschungsarbeiten die „queer community and cisgendered people“ (1994), ohne den Begriff näher zu erläutern. Buijs gebrauchte den Begriff zunächst ebenfalls ohne Erläuterung, formulierte aber auf Nachfrage, den Begriff einfach erfunden zu haben, er sei für „non-T*people“ bzw. trage die einfache Bedeutung „non-trans = cis“ (1996).

Für den deutschsprachigen Kontext hat außerdem der Sexualforscher Volkmar Sigusch 1992 die Begriffe „Zissexualismus“ und „Zissexuelle“ vorgeschlagen, um die „geschlechtseuphorische Mehrheit“ (ebd. 138) als ebenso ungeklärt und untersuchungswürdig wie aus sexualforscherischer Sicht die Transsexuellen zu positionieren. Sigusch bezieht sich mit dem Begriff auch auf Magnus Hirschfeld (1914), der von einem Patienten berichtet, welcher sich selbst als Cisvestit bezeichnet habe (ebd. 169, hier der Link zur Seite).
[Eventuell kommt „zis“ schon in Siguschs Artikel „Die Transsexuellen und unser nosomorpher Blick“ von 1991 vor, hab ich aber nicht gelesen.]

Hirschfeld beschrieb die Cisvestiten als eigene Gruppe, deren Angehörige gerne bestimmte, meist berufsgebundene, Kleidung trugen — im Unterschied zu den Transvestiten, die die Kleidung des „anderen Geschlechts“ vorzogen. Cisvestitismus hat auch einen Eintrag in Ernst Burchards „Lexikon des gesamten Sexuallebens“ (1914; Eintrag: „Cisvestitismus, die Neigung, die Kleidung einer anderen Altersstufe, Volks- oder Berufsklasse des gleichen [im Original gesperrt] Geschlechts zum Zwecke sexueller Entspannung anzulegen, dem Transvestitismus verwandt (s. Verkleidungstrieb.“). Bei Sigusch hat die Bezeichnung des Zissexualismus das Ziel, die vermeintliche Krankhaftigkeit und Andersartigkeit der Transsexuellen zu hinterfragen und den pathologisierenden Blick der Sexualforscher_innen auf sich selbst und das eigene — meist unhinterfragte Geschlecht — zurückzuwerfen. Die Diskussionsteilnehmer_innen auf soc.support.transgendered, die auf die Frage nach der Bedeutung von Buijs‘ „cisgendered people“ (Buijs 1996) antworten, heben den Wunsch hervor, diejenigen, die nicht trans* sind, mit einem eigenen Wort zu benennen, um nicht bei nicht-trans* bleiben zu müssen.

Die erwähnten Texte sind:

Dana Leland Defosse (1994): transgender research
Carl Buijs (1996): Erklärung zum Begriff
Volkmar Sigusch (1992): Geschlechtswechsel, Hamburg.
Magnus Hirschfeld (1914): Die Homosexualität des Mannes und des Weibes, Berlin.
Ernst Burchard (1914): Lexikon des gesamten Sexuallebens, Berlin.

Wie das so ist mit dem Passen…

Musste ich gerade drüber nachdenken. (Muss ich manchmal.) Neulich hatte ich ein Gespräch mit einer Person, die mich gut und lange kennt und weiß, welches Pronomen ich so mag (er_ auf deutsch, he oder they auf englisch; und ja: Uneindeutiges Gender und eindeutiges Pronomen passen wunderbar zusammen, denn Pronomen müssen nicht eindeutig sein). Und sie war verwundert, weil ich irgendwo auf der Straße als Frau angesprochen worden war, wir uns kurz drüber unterhalten und ich gesagt hatte, dass mir das ziemlich häufig passiert.
Das scheint so zu sein: Leute, die mich lange kennen, haben ein Bild von mir im Kopf, und auf diesem Bild passe ich. Das heißt wohl, dass ich im engeren Freund_innenkreis passe, die meiste Zeit. (Kein Wunder, warum ich mich im Freund_innenkreis wohl fühle.)

Und in der Öffentlichkeit oder mit Leuten, die ich nicht so gut kenne, passe ich halt nicht. Oder nur manchmal. Oder mal so und mal so. (Da kommen ja auch noch die Räume dazu, in denen ich immer wieder sage, dass ich *dieses* Pronomen möchte und immer wieder kriegen die Leute es nicht hin. Aber das ist vielleicht doch ein etwas anderes Thema.)
(Und dann kommt noch diese Merkwürdigkeit dazu, dass andere Trans*leute mir manchmal sagen, ich hätte Passing-Privileg. Oder es wird davon ausgegangen, dass ich passe, weil ich die und die OP gemacht habe oder Hormone nehme. Ich passe trotzdem nicht. Ich sage in solchen Diskussionen meist nichts, weil ich nicht genau weiß, was ich sagen soll. Wahrscheinlich wäre es sehr sinnvoll, mehr zu differenzieren: Nicht vom täglichen Passen auszugehen, sondern vom situativen. Es gibt Situationen, in denen ich Passing-Privilegien bemerke, und wie! Aber das sind eben Situationen.)

Gefühlt werde ich häufiger als Frau wahrgenommen, seltener als Mann und sehr selten werde ich gefragt, ob ich eigentlich männlich oder weiblich bin.
(Naja, nach meiner Passing-Definition passe ich eigentlich immer, manchmal als Mann, manchmal als Frau, sehr selten so, wie ich mich fühle, also weder als Mann, noch als Frau… Mag sein, dass meine Definition von Passing da auch irgendwie schief hängt.)
Das Verhältnis verschiebt sich mal so, mal so, das liegt an meiner Stimmung, meiner Kleidung, meiner Frisur, den Leuten, mit denen ich unterwegs bin, dem Ort, an dem ich mich aufhalte, den Dingen, die ich mache oder lese oder kaufe. Ist also auch ziemlich außerhalb meiner Kontrolle.

Makes me think.

Denn eigentlich steht in diesem Passing-Verhältnis doch genau das, was ich möchte: Eben nicht passen, nicht männlich oder weiblich sein. (Für mich ist das trans* oder auch genderqueer, ich weiß, dass andere das non-binary oder nb nennen, das sind irgendwie nicht meine Konzepte geworden.) Wenn ich ständig mal als Mann oder mal als Frau wahrgenommen werde, dann hab ich doch eigentlich genau das erreicht, was ich wollte?
Und warum gibt es dann doch immer noch bei jedem *sie* dieses seichte Unwohlsein und bei jedem *er* diese leichte Überraschung? Leider ist es auch nach über 10 Jahren trans* nicht so leicht, die eigenen Wünsche zu verkörpern.
Dauerhaft beim Passen gescheitert.

Seit einiger Zeit versuche ich also einen dritten(?) Ansatz und distanziere mich vom Passen selbst.
Denn das Passen ist eine giftige cistematische Einteilbarkeit, in der ich nur gewinne (und noch nicht mal das), wenn ich trans* unsichtbar mache und versuche, wie ein echter Mann oder eine echte Frau auszusehen. Passen ist eine Graduierung, an der ich nur verlieren kann. Die Vorlagen, wie ich auszusehen hätte, wenn ich passen wollen würde, sind in sich so eng geknüpft, dass sowieso und von Vornherein kein Platz für so viele Verschiedene ist. Und will ich wirklich mein Leben damit verbringen, zu versuchen, wie eine heteronormativzweigeschlechtliche Vorlage auszusehen? Vielleicht hab ich auch Wichtigeres zu tun…

Leider nicht so einfach und leider auch ganz schön anstrengend. Welche_r macht sich schon mal eben so frei von den Anrufungen anderer? Ich jedenfalls nicht und wahrscheinlich auch nie so ganz.
Aber ich glaube, dass die Richtung ganz okay ist.

Wer wird wie gelesen im Raum? Gefühle vs. Wahrnehmung vs. Verhalten or what?

Auf twitter hat @baum_glueck auf meinen eben gebloggten Text Heteroküsse… nachgefragt, auf wen sich meine Kritik bezieht:

„Die frage fuer mich grad is, gilt das fuer tatsaechliche cisheten, was du schreibst oder fuer das was wir wahrnehmen“

Ich hatte gedacht, dass das im Text schon rüberkommt, das ist aber offensichtlich nicht so, das tut mir leid. Beim drüber Nachdenken finde ich sowieso, dass es ein sehr komplexes Thema und eine wichtige Nachfrage ist, die noch mal einen eigenen Eintrag verdient. Also, danke an @baum_glueck für den Anstoß und los.
[Und @baum_glueck: Die diversen Kritikschleifen im folgenden Text beziehen sich nicht komplett auf Dich, sondern nur, soweit es Deine Nachfrage betrifft!]

In meinem Text ging es mir um ein Verhalten von Heter@s in queeren Räumen (zentral auf der Tanzfläche Raum einnehmen und rumknutschen), das ich bisher deutlich mehr als einmal erlebt habe und bei dem ich ein Muster vermute. Über das Muster hab ich geschrieben. Jetzt kommt der ausdifferenzierte Teil dazu, wer eigentlich gemeint ist oder auch nicht.

Bei den Malen, an die ich mich erinnere, gehe ich davon aus, dass es sich dabei um Hetero-Paare oder -Gruppen gehandelt hat und nicht um Leute aus LSBTQ Szenen / LSBTQ, die als heter@ gelesen werden können.

Meine Unterscheidung beruht vor allem auf Verhalten, also eigentlich auf Praxen und nicht auf Identitäten, wobei bei meinem Beispiel beides zusammenfällt, aber nicht zusammenfallen muss, das werde ich unten noch etwas genauer auseinandernehmen. Wenn das im vorherigen Text nicht deutlich geworden ist, dann tut es mir leid, vor allem entschuldige ich mich bei denen, die sich fälschlicherweise angesprochen gefühlt haben. Ich wünsche mir für meine Texte aber auch, dass sie als vielschichtig gelesen werden, ich freue mich über Nachfragen über Unklarheiten und finde es schade, wenn mir Sachen untergeschoben werden, die im Text so nicht stehen.

Ich gehe davon aus, dass sich subkulturelle Räume von hegemonialen Räumen durch die Regeln, die in ihnen gelten, unterscheiden. Das sind meist Regeln, die in der Mehrheitsgesellschaft nicht durchgesetzt, eventuell noch nicht mal verstanden werden können.

Beispiele aus dem queeren Spektrum dafür wären z.B. der Umgang mit casual sex im subkulturellen Raum schwuler darkroom oder die Fähigkeit, Gender_Geschlechterperformances anders wahrzunehmen in FLT*-BDSM-Kontexten als beispielsweise in heterodominierten BDSM-Kontexten. Im vorherigen Text habe ich über die von mir wahrgenommene Regel eines eher größeren queeren Raumes gesprochen: Rückzugsort und Entspannungsmöglichkeit (im Sinne von unter sich Party machen) für LSBT*Q(manchmal bzw. manche I) zu sein. Damit meinte ich, dass ein fröhliches, feierndes Aufhalten in diesem Raum ermöglicht werden soll, das Leute nicht sofort mit Unterdrückungsmechanismen „von dort draußen“ konfrontiert, sondern ein anderes Setting schafft, in dem Heteronormativität nicht die Hauptrolle spielt.

Das Wissen über die in subkulturellen Räumen herrschenden Regeln muss m.E. gelernt werden. Das passiert meiner Erfahrung nach über Partizipation (welcher Art auch immer: Hingehen, davon hören, mit Anwesenden reden, Texte über diese Räume lesen, Kunst aus diesen Räumen sehen/hören/… etc.) und muss auch nicht sofort da sein, sobald ich das erste Mal den Fuß/das Rad über die Schwelle gesetzt habe. Es ist eher ein subtiler Lernprozess, der sicherlich auch damit zusammenhängt, wie (oder ob überhaupt) in den jeweiligen Räumen sanktioniert wird.

Das heißt wiederum auch nicht, dass diese Regeln nicht verletzend oder ausschließend bestimmten Menschen gegenüber sind. Ein subkultureller Raum mit seinen eigenen Regeln ist nicht davor gefeit, andere hegemoniale Muster zu wiederholen. Das heißt auch nicht, dass es nicht Personen innerhalb dieser Räume gibt, die sich nicht nach diesen Regeln verhalten bzw. sie verletzend_übergriffig ignorieren. Die Regeln sind ja letztlich eben doch keine Zugangsbegrenzung, sondern halt eher meist unausgesprochene Übereinkünfte. Mit allen negativen Aspekten, die an unausgesprochenen Übereinkünften hängen.

Zurück zu den von mir häufiger wahrgenommenen und so eingeordneten knutschenden Heten auf der Queerparty.

Meine Einordnung als Heter@s beruht in diesem Fall auf einem Gefühl bzw. der Wahrnehmung, dass etwas nicht stimmt, dass mehrere Regeln oder Konstanten des Raumes gerade verletzt werden. Das hängt daran, wie ich die Aktionen der betreffenden Leute wahrgenommen habe und ich mache hier eine Auflistung, die ein Sammelbecken meiner entsprechenden Erlebnisse ist, aber nicht für jedes Erlebnis im Ganzen zutreffen muss:

  • Leute nehmen Raum ein, sind nicht auf die Umgebung bedacht, sind selbstvergessen und dabei grenzüberschreitend -> z.B.: Es ist gerade egal, ob andere hier eine Tanzfläche vermuten, dieses Paar muss hier einen Beziehungsstreit ausfechten.
  • Leute verhalten sich hegemonial genderkonform, allein, in Gruppen, in Zweierpaaren (in denen sie sich dann so genannt gegengeschlechtlich aufeinander romantisch beziehen; dazu schreibe ich unten noch was) -> z.B. Mackern, Darstellung von normativem Heterobegehren (und ja, dazu auch)
  • (männlich wahrgenommene) Leute verhalten sich (weiblich wahrgenommenen) Leuten gegenüber hegemonial genderkonform -> z.B. durch ungefragtes Anbaggern, Anfassen, Anlabern
  • Es findet eine Positionierung im Zentrum des Raumes und Lautsein im Sinne von sich auffällig machen statt -> z.B. bierseliges im Kreis rumstehen mitten auf der Tanzfläche, gemeinschaftliches T-Shirt ausziehen der männlich wahrgenommenen Personen oder über größere Distanzen hinweg Kontakt aufnehmen zu einer sich ähnlich hegemonial genderkonform verhaltenden Bezugsgruppe durch Schreien, Dinge hin und her werfen etc.

All das entspricht in meiner Wahrnehmung eher nicht den ungeschriebenen Regeln, die ich in einem queeren Raum erwarte. Ich vermute dann, dass die entsprechenden Personen sich so verhalten, weil sie die subkulturellen Regeln nicht kennen, sich nicht die Mühe machen, sie kennenzulernen oder sich darüber hinwegsetzen ODER gar nicht die Notwendigkeit haben, zu merken, dass dieser Raum anders sein könnte. In allen von mir erlebten Fällen fiel außerdem solches Verhalten mit einem sehr hegemonial genderkonformen Aussehen (Frisuren, Schminke, Kleidung, Accessoires) zusammen. An dem Punkt wage ich die Behauptung aufzustellen, dass es sich hier um heteronormative Personen handelt, die sich gerade dominant in Bezug auf den Raum und die übrigen Anwesenden verhalten.

Dann gibt es die vielen Leute, die in diesem ganzen queeren Spektrum existieren und immer wieder auch in queeren Räumen als heter@ gelesen werden (zu denen ich mal mehr mal weniger selbst gehöre, wie viele andere ja auch, surprise). Und das können ja viele sein: In der Alltagspraxis hetero begehrende Personen, hetero- oder andersbegehrende Trans*personen mit, ohne oder mit ambivalentem Durchgehen-im-Wunschgender, PoC und andere mehrfachzugehörige Leute. Meine Erfahrung ist, dass diejenigen, die als heter@ gelesen werden können und die sich queeren Räumen zugehörig fühlen, weil sie Alternativen zu heteronormativen Räumen bieten, sich nicht so wie oben beschrieben verhalten. Meine Erfahrung ist, dass das von mir kritisierte Verhalten immer wieder von einer ganz bestimmten Gruppe von Leuten kommt, die ich als hetero lese.

Und dann gibt es die Leute, die sich dem queeren Spektrum zugehörig fühlen und genau das Verhalten re_produzieren, dass ich oben beschrieben habe, z.B. Transmaskulinitäten, für die zum Männlich-Sein sexistisches Verhalten gehört oder Schwule, die Frauen übergriffig anfassen oder Butch-Femme-Paare, die sich über feminine Butches oder maskuline Femmes lustig machen. Und ob diese Leute von Aussehen her als cis_heter@ durchgehen oder nicht, für mein Gefühl brechen sie in diesem Moment ebenso ungeschriebene Regeln und verhalten sich nicht so, wie ich es mir auf einer queeren Party wünschen würde.

Das Äußere an sich kann m.E. hier keine klare und gültige Aussage über die Zugehörigkeit oder die Positionierung im Raum machen, weshalb ich es ja an Praxen kopple.
Gleichzeitig finde ich es schwierig, bei sehr heteronormativem, grenzüberschreitendem Verhalten zunächst mal zu diskutieren, ob Leute unpassenderweise als hetero gelesen werden oder nicht.
Da ergibt sich dann für mich eine Problematik queerer Räume: Wenn die Definition des Raumes an dem Punkt anhält, an dem ich „vom Aussehen nicht auf das Begehren von Leuten schließen darf“ (und das ist eine häufige Antwort, die ich auf Argumentationen wie die oben oder die im letzten Text höre), dann ist sie verkürzt und betreibt viel mehr Identitätspolitik als die Suche nach einem Verhaltenskodex auf queeren Partys. Mit der m.E. verkürzten – aber immer wieder gehörten – Argumentation, dass ich niemanden auf einer Queerparty einfach so (siehe dazu meinen Text oben) als heter@ labeln darf, verunmögliche ich die Diskussion über heteronormatives Verhalten und das offensichtliche momentane Scheitern einer Türpolitik auf Queerpartys.

Heteroküsse auf Queerpartys. Oder: Raumaneignungen.

Ich war neulich auf einer Soliparty zur Finanzierung einer größeren LSBTIQ-Veranstaltung. Die Party ist eine der größten in Hamburg, die sich noch unter dem Label queer verorten lässt, insofern ist klar, dass ziemlich viele Leute dahin gehen.
Trotzdem war ich zwischendurch ziemlich erschrocken, als ich mich auf der Tanzfläche plötzlich mit drei eng umschlungenden knutschenden Hetenpärchen konfrontiert sah.
Und ich so: Ey! Auf einer Queer-Party?!?

Okay, Kontextualisierung, denn so überraschend ist es ja doch nicht.

Wie gesagt, die Party ist sehr groß und viele (auch heterosexuelle) Leute gehen dahin.

Genau, es ist eine Party, da knutschen Leute, auch mal als Paar und auch mal eng umschlungen (das klingt so gut, das muss ich öfter schreiben).

Und wahrscheinlich ist das genau das, was gemeint ist, wenn Leute sich über die hetero Vereinnahmung von queer beschweren. Also eigentlich langweilig, das hätte ich wissen können.

Aber ich war so genervt, dass es mich Teile des Abends gekostet hat und mich diesen Text schreiben lässt.

Und jetzt muss ich dringend genauer werden, denn so, wie es da steht, bleiben zu viele Fragen offen.
Was genau fand ich denn so problematisch? Ich sehe schließlich jeden Tag knutschende Heteropärchen.

1. Woher will ich denn wissen, dass das Heteropärchen waren?
Das stimmt, ich sollte nicht nach Äußerlichkeiten gehen und einfach mal so Leute paarweise zu Heter@s erklären, nur weil sie gerade auf einer Party knutschen.

2. Wenn die Party queer ist, ist sie im Grunde offen für alle, die sich mit dem Label wohl fühlen oder auch nur Freund_innen haben, die sie gerne begleiten und sich mit ihnen solidarisieren wollen.

3. Was stört denn so massiv an knutschenden Paaren? Lass sie doch.

Für mich interessant wird es an der Stelle, an der ich mein Erlebnis mit anderen immer wieder ähnlichen Erlebnissen kurzschließe und meinen (knips) soziologisch motivierten Blick einen Moment länger darauf ruhen lasse.

Es ist nämlich nicht die erste queere Party, auf der mir das passiert. Es gibt viel mehr ein sehr deutliches Muster: Auf vielen queeren Partys, die keine strengen Einlassregeln haben und_oder keine wenig öffentlich angekündigten Subkulturveranstaltungen, sondern eher groß und frei zugänglich sind, passiert früher oder später folgendes:
Relativ zentral im Raum fangen Paare, die sich auf den ersten und zweiten und dritten Blick als Cismann und Cisfrau einordnen lassen, an, ihr Paarsein zu zelebrieren, meist durch intensives Rumknutschen. In diesem Fall durch Rumknutschen nichttanzend auf der Tanzfläche, also auch noch als Hindernis für alle, die tanzen wollten.

Die Frage ist: Warum auf der Queer-Party? Und warum so sichtbar, mitten im Raum? Und warum eventuell auch noch nichttanzend einen Tanzplatz einnehmend?

Und was mein queerfeministischer soziologischer Hirnlappen (no, don’t trust me on this) dazu ausspuckt:

Dies ist ein queerer, ein lesbischer, ein schwuler, ein bi, manchmal ein trans*, manchmal ein inter, ein bisschen ein poly, jedenfalls ein subkultureller Raum. Im Verhältnis zum hegemonialen Raum ist dieser Raum pervers, er ist anders und er folgt anderen Regeln. Die Regeln, denen er folgt, müssen innerhalb der Subkultur gelernt werden, das geht nicht über Queer-101-VHS-Kurse, sondern erfolgt subtil, gebunden an die Freund_innenschaften, die politischen Zusammenhänge, die Aktionsgruppen, zu denen eins sich zugehörig fühlt und Zugang hat.
Eine Regel in einem queeren Raum ist beispielsweise, dass sich Leute hier erholen können von den heteronormativen Zumutungen, denen sie täglich ausgesetzt sind.

[Queer – eingeschoben – ich pauschalisiere hier: Alle der oben genannten Kategorien haben wiederum sehr ausdifferenzierte Regeln in Bezug auf ihre sehr ausdifferenzierten Räume. Diese Regeln überschneiden sich teilweise, schließen sich aber an anderen Punkten aus oder sind zumindest weit voneinander entfernt, beispielsweise was die schwule+ und die FLT-BDSM/“rough sex“-Szenen angeht.]

Und ja: Knutschende Heteropärchen können eine heteronormative Zumutung sein. Denn sie sind eine Erinnerung daran, was in der Öffentlichkeit geht und was nicht. Sie sind eine Darstellung von Machtverhältnissen und schließlich: Sie sind aufdringlich in ihrer fröhlichen Unbesonnenheit.

Womit ich wieder zu meinem Punkt 1 komme: Wie kann ich denn sagen, ob das wirklich ein Hetero-Pärchen ist?
Genau genommen kann ich das nicht sagen. Was ich aber sagen kann ist, dass es sich hier um Pärchen handelt, die kein Gespür für den subkulturellen Raum mit seinen eigenen Regeln haben, in dem sie sich gerade bewegen. Das kann ich sagen, weil ich sehe und spüre, dass die gemeinten Pärchen gerade grundlegende (manchmal) unausgesprochene (manchmal auch nicht) Regeln dieses Raumes verletzen und missachten. Und das ist ein Luxus, nebenbei bemerkt.

Aber der queere Raum soll doch offen für alle sein.
Und das ist er auch (leider, manchmal). Trotzdem geht es auch anders und ich wage zu behaupten, dass der queere Raum eigentlich nur offen für all diejenigen ist, die Lust haben, sich mit den heteronormativen Regeln dieser Gesellschaft kritisch auseinanderzusetzen und ggf. auf bestimmte Handlungen an diesem speziellen Ort zu verzichten, weil sie wissen, dass diese Handlungen eine heteronormative Zumutung darstellen können in einem Raum, der dahingehend eigentlich als Oase gedacht ist.
Und es tut weh zu sehen, dass im Umkreis um die knutschenden Pärchen viele eingeschränkter werden, beobachten aber nicht aktiv werden, sich benehmen wie da draußen und nicht mehr wie auf der queeren Party, dem temporären Zuhause.

Heißt allerdings auch, knutschende Heteropaare auf Queer-Partys: Ihr merkt das vielleicht nicht, aber um euch rum sind viele, viele, die euch ganz genau im Blick haben, euer Tun analysieren und ganz genau merken, was ihr da tut. Und wir* reden darüber, ja, auch das.

*[Sorry again: Dieses wir ist sehr pauschal und ich hab es hier als emotionalen Ausrutscher eingesetzt. Gemeint sind viele oder auch einige, unter anderem ich, der_ ich mit Freund_innen über solche Vorkommnisse rede, sie analysiere, nebenbei auf der Party, länger im Nachhinein, mit Anlass oder auch ohne. Jedenfalls: Knutschende Heteropaare an queeren Orten gehören zu einem subkulturellen Wissen, wie Heteronormativität und Dominanz produziert wird.]

Und surprise (or not): Es geht nämlich auch anders. Ich kenne und sehe genug Heter@s oder Leute, die in Heterobeziehungen sind, die auf bestimmte Verhaltensweisen und Re_Präsentationen von Heterosexualität in queeren Räumen verzichten. Und ich nehme an, dass sie das tun, weil sie sich mit den Räumen auseinandergesetzt haben und ebenso die Regeln gelernt haben. Und btw: Das ist ein Abend des Verzichts.

Wenn ich nach Gründen für heterosexuelle Performances in queeren Räumen suche, dann lande ich sehr schnell bei Aneignung.
Ich gehe davon aus, dass die Tanzfläche blockierende knutschende Heteropärchen dem Drang nachgehen, in diesem (huch!) perversen, anderen, queeren, nicht einschätzbaren und verunsichernden (denn ich habe die Regeln nicht verstanden!) Raum die eigene, gesellschaftlich dominante Normalität wieder herstellen zu müssen. Demonstrativ (in der Mitte des Raumes) zur Schau gestelltes (das kommt euch vielleicht nicht so vor, anderen aber umso mehr) hetero erscheinendes Knutschen ist also im Grunde genommen eine Re-Aneignung des Raumes, ein Besetzen eines temporär nicht-normativen Ortes. Es ist eine stabilisierende Reaktion auf die Verunsicherung der eigenen heterosexuellen Identität. Es ist eine Demonstration, wer sich gesellschaftlich was leisten kann, ohne sanktioniert zu werden.
Im Grunde ist es auch ein sehr verdrehtes Eingeständnis: Diese Umgebung macht Angst, die Queerness, das Unverständliche, das Andere und das Perverse, es ist nicht aushaltbar, wenn es nicht sofort als etwas markiert wird, zu dem ich nicht gehöre.

In diesem Moment wird den übrigen Besucher_innen der Veranstaltung gezeigt, dass sich hier einige nicht den Regeln des Raumes beugen wollen und es auch nicht müssen. Also wird ein Machtgefälle wieder_hergestellt, das sowieso schon existiert, auch in diesem Raum, immer.
Und präsentiert wird eine Performance, die sich so viele andere Räume schon angeeignet hat und sich problemlos zeigen kann, warum also nicht auch hier: Heterosexualität, ein ganz bestimmtes, normativ an Gender gekoppeltes Verhalten, Paarnormativität und die Normalisierung des Austausches intimer Tätigkeiten an allen denkbaren Orten. Aber eben nur heterosexueller Tätigkeiten.

tl;dr1: Leute, da draußen stehen euch zig andere Partys, öffentliche und private Veranstaltungen, der öffentliche Raum etc. zur Verfügung, um eng umschlungen rumzuknutschen. Eine Party wie diese gibt es in Hamburg genau zwei mal im Jahr. Warum also hier?

tl;dr2: Liebe heteronormative Menschen, eine queere Party bedeutet nicht, dass alle Normativitäten hier erst recht ihren Platz haben. Rumknutschen kann nicht verboten werden, aber euch sollte klar sein, dass – wenn ihr in queeren Räumen auf diese Art Heteronormativität produziert – ihr gerade aktiv subkulturelle Räume, Rückzugs- und Entspannungsmöglichkeiten zerstört.

Nachtrag 1: Natürlich bin ich nicht der_ erst_e, der_ dazu was geschrieben hat. Deshalb auch z.B. bitte hier lang zur Mädchenmannschaft: Hat jemand „Knutschverbot“ gesagt?! – Critical Hetness 101

Nachtrag 2: Es gab sofort die Nachfrage, für wen meine Kritik gelte, ob sie sich auch auf Personen bezieht, die als cisheter@ durchgehen. Dazu schreib ich noch mal was in einem separaten Text.