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Wer wird wie gelesen im Raum? Gefühle vs. Wahrnehmung vs. Verhalten or what?

Auf twitter hat @baum_glueck auf meinen eben gebloggten Text Heteroküsse… nachgefragt, auf wen sich meine Kritik bezieht:

„Die frage fuer mich grad is, gilt das fuer tatsaechliche cisheten, was du schreibst oder fuer das was wir wahrnehmen“

Ich hatte gedacht, dass das im Text schon rüberkommt, das ist aber offensichtlich nicht so, das tut mir leid. Beim drüber Nachdenken finde ich sowieso, dass es ein sehr komplexes Thema und eine wichtige Nachfrage ist, die noch mal einen eigenen Eintrag verdient. Also, danke an @baum_glueck für den Anstoß und los.
[Und @baum_glueck: Die diversen Kritikschleifen im folgenden Text beziehen sich nicht komplett auf Dich, sondern nur, soweit es Deine Nachfrage betrifft!]

In meinem Text ging es mir um ein Verhalten von Heter@s in queeren Räumen (zentral auf der Tanzfläche Raum einnehmen und rumknutschen), das ich bisher deutlich mehr als einmal erlebt habe und bei dem ich ein Muster vermute. Über das Muster hab ich geschrieben. Jetzt kommt der ausdifferenzierte Teil dazu, wer eigentlich gemeint ist oder auch nicht.

Bei den Malen, an die ich mich erinnere, gehe ich davon aus, dass es sich dabei um Hetero-Paare oder -Gruppen gehandelt hat und nicht um Leute aus LSBTQ Szenen / LSBTQ, die als heter@ gelesen werden können.

Meine Unterscheidung beruht vor allem auf Verhalten, also eigentlich auf Praxen und nicht auf Identitäten, wobei bei meinem Beispiel beides zusammenfällt, aber nicht zusammenfallen muss, das werde ich unten noch etwas genauer auseinandernehmen. Wenn das im vorherigen Text nicht deutlich geworden ist, dann tut es mir leid, vor allem entschuldige ich mich bei denen, die sich fälschlicherweise angesprochen gefühlt haben. Ich wünsche mir für meine Texte aber auch, dass sie als vielschichtig gelesen werden, ich freue mich über Nachfragen über Unklarheiten und finde es schade, wenn mir Sachen untergeschoben werden, die im Text so nicht stehen.

Ich gehe davon aus, dass sich subkulturelle Räume von hegemonialen Räumen durch die Regeln, die in ihnen gelten, unterscheiden. Das sind meist Regeln, die in der Mehrheitsgesellschaft nicht durchgesetzt, eventuell noch nicht mal verstanden werden können.

Beispiele aus dem queeren Spektrum dafür wären z.B. der Umgang mit casual sex im subkulturellen Raum schwuler darkroom oder die Fähigkeit, Gender_Geschlechterperformances anders wahrzunehmen in FLT*-BDSM-Kontexten als beispielsweise in heterodominierten BDSM-Kontexten. Im vorherigen Text habe ich über die von mir wahrgenommene Regel eines eher größeren queeren Raumes gesprochen: Rückzugsort und Entspannungsmöglichkeit (im Sinne von unter sich Party machen) für LSBT*Q(manchmal bzw. manche I) zu sein. Damit meinte ich, dass ein fröhliches, feierndes Aufhalten in diesem Raum ermöglicht werden soll, das Leute nicht sofort mit Unterdrückungsmechanismen „von dort draußen“ konfrontiert, sondern ein anderes Setting schafft, in dem Heteronormativität nicht die Hauptrolle spielt.

Das Wissen über die in subkulturellen Räumen herrschenden Regeln muss m.E. gelernt werden. Das passiert meiner Erfahrung nach über Partizipation (welcher Art auch immer: Hingehen, davon hören, mit Anwesenden reden, Texte über diese Räume lesen, Kunst aus diesen Räumen sehen/hören/… etc.) und muss auch nicht sofort da sein, sobald ich das erste Mal den Fuß/das Rad über die Schwelle gesetzt habe. Es ist eher ein subtiler Lernprozess, der sicherlich auch damit zusammenhängt, wie (oder ob überhaupt) in den jeweiligen Räumen sanktioniert wird.

Das heißt wiederum auch nicht, dass diese Regeln nicht verletzend oder ausschließend bestimmten Menschen gegenüber sind. Ein subkultureller Raum mit seinen eigenen Regeln ist nicht davor gefeit, andere hegemoniale Muster zu wiederholen. Das heißt auch nicht, dass es nicht Personen innerhalb dieser Räume gibt, die sich nicht nach diesen Regeln verhalten bzw. sie verletzend_übergriffig ignorieren. Die Regeln sind ja letztlich eben doch keine Zugangsbegrenzung, sondern halt eher meist unausgesprochene Übereinkünfte. Mit allen negativen Aspekten, die an unausgesprochenen Übereinkünften hängen.

Zurück zu den von mir häufiger wahrgenommenen und so eingeordneten knutschenden Heten auf der Queerparty.

Meine Einordnung als Heter@s beruht in diesem Fall auf einem Gefühl bzw. der Wahrnehmung, dass etwas nicht stimmt, dass mehrere Regeln oder Konstanten des Raumes gerade verletzt werden. Das hängt daran, wie ich die Aktionen der betreffenden Leute wahrgenommen habe und ich mache hier eine Auflistung, die ein Sammelbecken meiner entsprechenden Erlebnisse ist, aber nicht für jedes Erlebnis im Ganzen zutreffen muss:

  • Leute nehmen Raum ein, sind nicht auf die Umgebung bedacht, sind selbstvergessen und dabei grenzüberschreitend -> z.B.: Es ist gerade egal, ob andere hier eine Tanzfläche vermuten, dieses Paar muss hier einen Beziehungsstreit ausfechten.
  • Leute verhalten sich hegemonial genderkonform, allein, in Gruppen, in Zweierpaaren (in denen sie sich dann so genannt gegengeschlechtlich aufeinander romantisch beziehen; dazu schreibe ich unten noch was) -> z.B. Mackern, Darstellung von normativem Heterobegehren (und ja, dazu auch)
  • (männlich wahrgenommene) Leute verhalten sich (weiblich wahrgenommenen) Leuten gegenüber hegemonial genderkonform -> z.B. durch ungefragtes Anbaggern, Anfassen, Anlabern
  • Es findet eine Positionierung im Zentrum des Raumes und Lautsein im Sinne von sich auffällig machen statt -> z.B. bierseliges im Kreis rumstehen mitten auf der Tanzfläche, gemeinschaftliches T-Shirt ausziehen der männlich wahrgenommenen Personen oder über größere Distanzen hinweg Kontakt aufnehmen zu einer sich ähnlich hegemonial genderkonform verhaltenden Bezugsgruppe durch Schreien, Dinge hin und her werfen etc.

All das entspricht in meiner Wahrnehmung eher nicht den ungeschriebenen Regeln, die ich in einem queeren Raum erwarte. Ich vermute dann, dass die entsprechenden Personen sich so verhalten, weil sie die subkulturellen Regeln nicht kennen, sich nicht die Mühe machen, sie kennenzulernen oder sich darüber hinwegsetzen ODER gar nicht die Notwendigkeit haben, zu merken, dass dieser Raum anders sein könnte. In allen von mir erlebten Fällen fiel außerdem solches Verhalten mit einem sehr hegemonial genderkonformen Aussehen (Frisuren, Schminke, Kleidung, Accessoires) zusammen. An dem Punkt wage ich die Behauptung aufzustellen, dass es sich hier um heteronormative Personen handelt, die sich gerade dominant in Bezug auf den Raum und die übrigen Anwesenden verhalten.

Dann gibt es die vielen Leute, die in diesem ganzen queeren Spektrum existieren und immer wieder auch in queeren Räumen als heter@ gelesen werden (zu denen ich mal mehr mal weniger selbst gehöre, wie viele andere ja auch, surprise). Und das können ja viele sein: In der Alltagspraxis hetero begehrende Personen, hetero- oder andersbegehrende Trans*personen mit, ohne oder mit ambivalentem Durchgehen-im-Wunschgender, PoC und andere mehrfachzugehörige Leute. Meine Erfahrung ist, dass diejenigen, die als heter@ gelesen werden können und die sich queeren Räumen zugehörig fühlen, weil sie Alternativen zu heteronormativen Räumen bieten, sich nicht so wie oben beschrieben verhalten. Meine Erfahrung ist, dass das von mir kritisierte Verhalten immer wieder von einer ganz bestimmten Gruppe von Leuten kommt, die ich als hetero lese.

Und dann gibt es die Leute, die sich dem queeren Spektrum zugehörig fühlen und genau das Verhalten re_produzieren, dass ich oben beschrieben habe, z.B. Transmaskulinitäten, für die zum Männlich-Sein sexistisches Verhalten gehört oder Schwule, die Frauen übergriffig anfassen oder Butch-Femme-Paare, die sich über feminine Butches oder maskuline Femmes lustig machen. Und ob diese Leute von Aussehen her als cis_heter@ durchgehen oder nicht, für mein Gefühl brechen sie in diesem Moment ebenso ungeschriebene Regeln und verhalten sich nicht so, wie ich es mir auf einer queeren Party wünschen würde.

Das Äußere an sich kann m.E. hier keine klare und gültige Aussage über die Zugehörigkeit oder die Positionierung im Raum machen, weshalb ich es ja an Praxen kopple.
Gleichzeitig finde ich es schwierig, bei sehr heteronormativem, grenzüberschreitendem Verhalten zunächst mal zu diskutieren, ob Leute unpassenderweise als hetero gelesen werden oder nicht.
Da ergibt sich dann für mich eine Problematik queerer Räume: Wenn die Definition des Raumes an dem Punkt anhält, an dem ich „vom Aussehen nicht auf das Begehren von Leuten schließen darf“ (und das ist eine häufige Antwort, die ich auf Argumentationen wie die oben oder die im letzten Text höre), dann ist sie verkürzt und betreibt viel mehr Identitätspolitik als die Suche nach einem Verhaltenskodex auf queeren Partys. Mit der m.E. verkürzten – aber immer wieder gehörten – Argumentation, dass ich niemanden auf einer Queerparty einfach so (siehe dazu meinen Text oben) als heter@ labeln darf, verunmögliche ich die Diskussion über heteronormatives Verhalten und das offensichtliche momentane Scheitern einer Türpolitik auf Queerpartys.