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Was zieh‘ ich meinem Kind nur an?

Dieser Text ist langsam überfällig, ich schlepp schon länger die Überlegungen dazu mit mir rum. Und außerdem verdient die Seite ja auch mal wieder was Neues.

Ich hatte in letzter Zeit relativ viel zu tun mit Kindern, die in alternativen/linken/queeren/gendersensiblen/etc. Zusammenhängen leben. In meinem Alltag begegnet mir das leider nicht so häufig, ich war aber dieses Jahr zuerst auf dem GenderCamp und im Sommer auf dem wer lebt mit wem?. Auf dem GenderCamp ist mir schon die letzten Jahre immer wieder aufgefallen, dass das Geschlecht von Kindern und dessen Re/Präsentation ein Thema sind, über dass sich die Leute, die im Alltag Verantwortung übernehmen, sehr sehr viele Gedanken machen können.

Ich schreibe hier Re/Präsentation von Geschlecht, tendiere aber eher zu Präsentation von Geschlecht, weil ich mich im Folgenden hauptsächlich auf sehr kleine Kinder beziehen werde, die möglicherweise noch nicht so viele Möglichkeiten haben, die eigene Repräsentation mitzubestimmen.
Und ich möchte hier erstmal von cis*-Kindern ausgehen, ich finde, dass die Diskussion zu trans*- oder inter*-Kindern andere Parameter beachten muss. Das wäre eher noch mal ein anderer Text, in dem die spezifischen Gewaltverhältnisse Beachtung finden sollten, die inter*- oder trans*-Kinder betreffen. Das heißt natürlich auch, dass ich *annehme*, es würde sich bei den von mir beschriebenen Kinder um cis*-Kinder handeln. Und dieser Problematik bin ich mir sehr bewusst.

Die Leute mit Verantwortung für Kinder, über die ich hier schreiben möchte, haben sich wahrscheinlich alle schon mal in der einen oder anderen Weise Gedanken zu Geschlecht als Konstruktion, Genderperformance und gesellschaftlicher Wahrnehmung von Gender/Geschlecht gemacht. Und zwar wahrscheinlich in einem Maße, dass es für sie nicht selbstverständlich, natürlich und schon immer so gewesen ist, dass Jungen blau und Mädchen rosa tragen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, mit einem bestimmten nicht-hegemonialen Wissen von der Welt Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Das eigene Weltbild clasht ganz gewaltig mit dem, was „die Schule“, andere Kinder oder Erwachsene so für normal halten. Aufeinanderprallende Verständnisse von Welt fallen dann plötzlich zuhause ein und müssen auf einem Level ausgehandelt werden, das ich früher (ohne häufigen Kontakt zu Kindern) einfacher umgehen konnte. Insofern hoffe ich, es im Ansatz nachvollziehen zu können, was andere Leute erleben, wenn in ihrem Alltag ein Kind eine große Rolle spielt und das eigene Wissen sich doch vehement vom hegemonialen unterscheidet.

Jetzt aber mal langsam zum Thema: Nach all der Vorgeschichte und den Erläuterungen geht es mir hier um etwas, was ich jetzt schon mehrfach gesehen habe und was ich sehr problematisch finde:
Wenn Menschen ihr Wissen, dass Geschlecht eine Konstruktion ist, von Kindern tragen lassen.

Genauer: Auf dem wlmw hatte ich einen positiv_negativen Moment der normativen Verwirrung.
Ich hatte schon ein paar Mal ein sehr junges Kind gesehen, welches ich als weiblich eingeordnet hatte. Das hatte ich getan, weil das Kind ein paar stark gegenderte Attribute trug: Lange Haare mit Zopf, Haarspangen, Armbänder, Halskette und Kleidchen (glaube ich, ich kann nicht mehr jedes Detail erinnern).
Als es dann wärmer wurde, musste ich erkennen, dass ich vorschnell eingeordnet hatte und dieses Kind wahrscheinlich bei der Geburt als männlich eingeordnet worden ist.

Da bin ich also seit Jahren glücklich queer und trans*, vermute mich als kritisch, hinterfragend und so weiter und dann kommt eine Person mit Zopf und ich weiß sofort: Mädchen. Nun ja. Lektion gelernt: Offensichtlich muss ich in Zukunft dringend versuchen, noch vorsichtiger mit geschlechtlichen Zuschreibungen umzugehen.

Die Situation hat für mich aber auch noch eine ganz andere schwierige Dimension wiederholt, die ich auch auf dem Camp schon in für mich sehr produktiver Weise im Zweiergespräch diskutieren konnte mit einer Person, der es ähnlich ging wie mir. Danke! An dieser Stelle.

Ich finde es nämlich sehr problematisch, wenn Kinder, die vor allem noch nicht selbst und für sich sprechen können, so stark gegendert cross-gedresst werden (oh, interessante Anglizismen…).
Generell finde ich es nicht so schön, dass Kinder von Erwachsenen stark gegendert werden, da ist es mir erstmal egal, ob die Art der Accessoires dem zugewiesenen Geburtsgeschlecht entsprechen oder nicht (und ich spreche hier von einem *starken* Gendern). Kinder auf eine besonders gegenderte Weise anzuziehen, halte ich persönlich für fremdbestimmtes Gendern und das finde ich übergriffig und das eigene gegenderte Werden verletzend. (Wie andere Sachen auch, so was wie „ein Junge darf nicht“ oder „Mädchen sollten“.) Es gibt Möglichkeiten, Kinder so anzuziehen, dass einer_m das angebliche Geschlecht nicht sofort in die Augen springt.
Was ich auch sehe ist, dass die mich umgebende Gesellschaft da häufig sehr strikte Vorstellungen hat, was Geschlecht und die Verkleidung desselben angeht. Und ich weiß gut, dass Abweichung sehr schlimm sanktioniert werden kann. Es ist also unter Umständen eine sinnvolle Überlegung, ob ein kleines Kind wirklich am eigenen Leib Utopien tragen muss, die ihre_seine Umwelt längst noch nicht verstanden hat.

Die oben beschriebene Situation ist herausragend, ich habe aber schon einige abgemilderte ähnliche Situationen erlebt, in denen Kinder von für sie verantwortlichen Erwachsenen *bewusst* entgegen dem Geburtsgeschlecht angezogen oder geschmückt wurden. Alle Kinder, bei denen ich das beobachtet habe, waren noch sehr klein, so dass die Erwachsenen vermutlich die alleinige Kontrolle über den Kleiderschrank hatten. Die Erwachsenen habe ich alle wahrgenommen als die oben beschriebenen, die sich schon viele Gedanken über Geschlecht/Gender gemacht haben und sich vermutlich als progressiv einschätzen/bezeichnen würden.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass die Kinder dabei die Träger_Innen der Utopien der Erwachsenen sind. Sie hatten aber bisher weder die Chance, sich etwas aus dem breiten Gender-Angebotsspektrum auszusuchen, noch sich mit eventuellen Utopien rund um Geschlechtlichkeit, Gender und Repräsentationspolitiken gleichberechtigt auf einem für sie passenden Level zu beschäftigen.

Ich halte es für sehr fragwürdig, wenn ein Kind so angezogen wird, dass es von seiner normativen Umwelt (die ja offensichtlich mich mit einschließt), beständig entgegen seines zugewiesenen Geburtsgeschlechts gelesen und/oder angesprochen wird. Wie gesagt – ich finde diese super-geschlechtseindeutige Aufmachung sowieso schwierig, auch wenn die Kleidung vermeintlich zum zugewiesenen Geburtsgeschlecht passt.

Hier wird ein Kind aber bewusst in die Rolle des Anderen/Abweichenden/Queeren gesteckt. Und das, ohne dass sich das Kind die Position großartig selbst aussuchen konnte.

Ebenfalls weiß ich nicht, ob diejenigen, die für das Kind verantwortlich sind, trans*/inter*/queere Empowerment-Arbeit mit ihrem Kind machen oder Kontakt zu Trans*, Inter* oder queeren Menschen herstellen, so dass das Kind in einer Weise mit den Anrufungen durch die Umwelt umgehen kann, aus der es möglichst stark hervorgeht.
Und an der Stelle halte ich es tatsächlich für sehr schwierig (und komplex), dass die Menschen, die ich bisher als ihr Kind cross-dressende wahrgenommen habe, alle (nach meiner Wahrnehmung, aber klar, siehe oben) cis* und in eher Hetero-Zusammenhängen lebend waren.

Normative Ansichten zu Geschlecht sind ja leider immer noch ziemlich stark und gewalttätig. Ich befürchte, dass Kinder, die entgegen dem ihnen zugewiesenen Geschlecht gekleidet werden, relativ schutzlos heterosexistischen Strukturen ausgeliefert werden, ohne gleichzeitig das nötige queere/trans*/inter* Wissen zu bekommen, das sie aber dann dringend bräuchten.

Und ich bezweifle auch ernsthaft, dass Kinder, die auf eine Art und Weise angezogen werden, die sie immer wieder aus der Normalität fallen lässt, ohne dass sie sich selbst für das Fallen entscheiden konnten, dies auf die Dauer als positiv empfinden (klar, ich weiß natürlich nicht, was wer empfindet). Ich habe eher Angst, dass hier im Namen von trans*/inter*/queer und den Utopien, die sich daraus entwickeln können, etwas ziemlich schief hängt und Kinder als Zeichen der Nicht-Normativität ihrer Erwachsenen benutzt werden.

Also vielleicht: Kritische Cis*-Reflexion für gendersensible/linke/alternative Menschen, die Verantwortung für junge Kinder haben.