Schlagwort-Archiv: trans*

FSK 16

In meine Timeline flatterte neulich die Begründung der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft), den Film Romeos ab 16 freizugeben.
Nachzulesen auf der Webseite der Regisseurin: http://sabine-bernardi.de/

Die Begründung ist fürchterlich, trieft vor Heteronormativität und obwohl ich glaube, dass sie nicht so überraschend ist, werde ich trotzdem mal ein paar Wuttasten über sie ergehen lassen. Weil ich mich wirklich geärgert habe.

Der Film selbst interessierte mich bisher nicht so sehr, ich steh nicht so auf Liebesfilme. Er kommt jetzt in Hamburg ins Kino, mag sein, dass ich ihn dann doch noch mal gucke. Mich interessiert tatsächlich auch nicht wirklich, ob der Film nun ab 12 oder ab 16 gesehen werden darf, wobei ich schon mitgekriegt hatte, dass Romeos eher seicht im Sinne von nicht so aufregend ist.

Ganz kurz und so weit ich weiß: Romeos ist ein Film über einen jungen Transmann, der sich in einen Cistypen verliebt, sich aber offensichtlich erst mal nicht (edit wegen eigener Ungenauigkeit:) trans*outen will. Was zu einigen Situationen führt. Die Geschichte dreht sich dann um die beiden und die beste Freundin des Protagonisten, die ihn noch von früher kennt. Also wohl eine Coming Out / Coming of Age – Geschichte mit trans* und schwul/lesbischem Einschlag.

Was mich an dieser Stelle umtreibt, sind die Gründe der FSK, den Film nicht, wie angefragt, ab 12 freizugeben. Ich werde mir also die Begründung in Zitaten hier etwas genauer angucken. Pfui und los geht’s:

„Der Film zeigt einen leidenden jungen Menschen, der auf seinem Weg der Geschlechtsumwandlung mit seinem Umfeld, mit Spott und Vorurteilen zu kämpfen hat. Damit behandelt der Film ein schwieriges Thema, welches für die Jüngsten der beantragten Altersgruppe, die sich in diesem Alter in ihrer sexuellen Orientierungsphase befinden, sehr belastbar [sic] sein könnte.“

Moment. Ich dachte, Kindheiten haben die ganze Zeit damit zu tun, wie es sich mit einem auch mal fiesen Umfeld, mit Spott und mit Vorurteilen klarkommen lässt? Das Leben von Kindern ist nicht Friede, Freude, Eierkuchen. Kinder sind in dem Alter schon zu grandiosen Reflexionsleistungen fähig und ich bin mir sicher, dass das der FSK nicht unbekannt ist. Es gibt diverse Kinder- und Jugendbücher und -Filme, die sich darum kümmern, Kindern „schwierige Themen“ nahezubringen, um ihnen das eigene Leben zu erleichtern. Dazu gehört durchaus auch Sexualität. Das Zitat hakt.

Tatsächlich ergibt der Satz oben erst wieder Sinn, wenn ich ihn in einen ganz bestimmten Kontext packe. Nämlich den gepanschter Cis- und Heteronormativität. Der wird oben schon angerissen: (Ironiemodus) Das mit der Geschlechtsumwandlung ist ein Problem und kann für Kinder in ihrer sexuellen Orientierungsphase sehr belastend sein. Also sollten sie damit besser nicht in Berührung kommen. (/Ironiemodus)
Dazu kommt ja noch das mit der Homosexualität:

„Das Thema selbst [bezieht sich irgendwie auf das Zitat oben, ist ja auch irgendwie echt kompliziert] ist schon schwierig für 12- bis 13-Jährige und die Schilderung einer völlig einseitigen Welt von Homosexualität im Film könnte hier zu einer Desorientierung in der sexuellen Selbstfindung führen.“

Das ist eindeutig. Es werden reihenweise Filme mit expliziten sexuellen Inhalten ab 12 Jahren freigegeben, in denen eine völlig einseitige Welt von Heterosexualität gezeigt wird. Die FSK vermutet nicht, dass diese Filme Kinder verwirren könnten. Die Vorstellung, Homosexualität im Film führe zu Desorientierung, geht aber auch nur, wenn Heterosexualität naturalisiert wird und damit nicht nur das ist, was innerhalb der Gesellschaft normal und gewünscht ist, sondern auch das, wohin sich Kinder ohne Desorientierung entwickeln werden.
Heterosexualität ist hier die Ausgangsposition, von der es nur desorientierte Abweichungen geben kann. Offensichtlich erkennt die FSK hier eine so schwere Abweichung, dass Menschen bis 15 davor geschützt werden müssen.

Tatsächlich schießt sich die FSK selbst ins Aus, indem sie schon bemerkt, dass die Natürlichkeit der cissexuellen Findungsphase offensichtlich schon durch einen einzigen nicht-ganz-heterosexuellen Film empfindlich gestört werden kann. Vielleicht ist das mit der Heterosexualität doch nicht so natürlich, vollorientiert und unproblematisch.

Ganz nebenbei finde ich es erstaunlich, dass dieser Film einseitig homosexuell ist. Heißt das, dass hier nur Szenen aus der schwullesbischen Szene vorkommen? Oder dass alle Szenen, in denen größere Gruppen oder Alltagssituationen gezeigt werden, nur von Homosexuellen bevölkert werden? Letzteren Film würde ich der FSK ja tatsächlich gerne wünschen, um eine Ahnung davon zu schaffen, wie vollkommen heterosexuell eigentlich *fast alle anderen* Filme sind.

„Die explizite Darstellung von schwulen und lesbischen Jugendlichen und deren häufige Partnerwechsel können verwirrend auf junge Zuschauer wirken, auch wenn der Film auf Bildebene [sic] nicht schamverletzend ist und niemanden diffamiert.“

Wunderbar, die FSK wälzt sich schnell noch in (nebenbei: wirklich alten!) Vorurteilen, ist ja auch furchtbar, diese promiskuitiven Schwulen und Lesben! Ich sehe vor meinem geistigen Auge haufenweise 12- und 13-Jährige ihre monogamen Langzeitbeziehungen beenden und nun mit der_dem Sitznachbar_in auf der linken Seite rumknutschen! Sodom und Gomorrha! Das haben wir hier nämlich:

„Der Film spiegelt eine verzerrte Realität wider, die Kinder aufgrund keiner oder zu geringer Erfahrungen nicht erkennen können.“

Okay. Verzerrte Realität – soll ich das noch mal kommentieren? Wenn Realität nur aus Heterosexualität bestehen kann, dann muss sie ja verzerrt werden, wenn denn mal was anderes vorkommt. Das Zitat gibt doch zu denken: Viele deutsche Kinder verfügen noch mit 12 oder 13 über erschreckend desorientierte einseitige Erfahrungen!

Die Kinder ohne Erfahrung freuen sich ja vielleicht sogar über Horizonterweiterungen. Die Tatsache, dass es Kinder gibt, die mit dem Film noch viel mehr anfangen können oder ihn sogar für die sexuelle Selbstfindung bitter nötig hätten, würde die FSK wahrscheinlich implodieren lassen.
Und rein aus Interesse: Wenn die Kinder die verzerrte Realität sowieso nicht erkennen, warum können sie dann den Film nicht einfach sehen?

„Der Film bedient sich keiner zotigen Sprache und diskriminiert Homosexuelle nicht, so dass er für ältere Altersgruppen nicht als problematisch beurteilt wird.“

Da hat der Film seiner Beurteilung aber einiges voraus.

Dieser Dreh in der Begründung hat mich wirklich fasziniert, die FSK positioniert sich hier tatsächlich als Kämpferin gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben.

„Für ältere Rezipienten ist die Filmgeschichte einordbar und verkraftbar.“

Wenn die natürlich-heterosexuell entwickelten Jugendlichen dann mit 16 ihre sexuelle Orientierungsphase hinter sich gelassen haben, kann man sie den Gefahren homosexueller Verzerrungen und Desorientierungen aussetzen. Die Jugendlichen werden die Homosexuellen entsprechend einordnen und verkraften können und gehen gestärkt aus diesem schwierigen Thema hervor.

Btw: Ging es nicht anfangs noch um trans*? Das Thema ist irgendwie bei all der Homosexualität auf der Strecke geblieben. Wahrscheinlich bestand wieder Implosionsgefahr.
Aber ehrlich: Eine Begründung, in der der Protagonist eine „Transformation von einer Frau zu einem Mann“ macht, während er „eigentlich ein Mädchen ist“ und in der unter dem Begriff „Coming Out“ schwules und trans* Coming Out wahllos gemischt und verwechselt werden. Was hab ich denn anderes erwartet?

Dokumentiert

Vor ein paar Tagen sah ich auf arte die Dokumentation „Meine Seele hat kein Geschlecht“ (ich schweige zum Titel) über vier Trans*leute, die sich alle unterschiedlich maskulin verorten (leider momentan nicht mehr online). Beim Gucken erlebte ich ein interessantes Wechselbad der Gefühle von „Yeah – total gut“ zu „oh nein, nicht das schon wieder“. Das ist es wert, etwas genauer auseinander genommen zu werden.

Vorweg: „Meine Seele hat kein Geschlecht“ ist eine der intelligentesten Trans*Dokus, die ich bisher gesehen habe (ich hab einige gesehen). Für den Mainstream-TV-Bereich würde ich sogar sagen: Die Beste. Das hat mich sehr gefreut und wenn ihr die Chance habt, die Doku zu sehen, dann tut das, es lohnt sich. Da steckt ganz viel drin.

Was diese Doku von anderen abhebt:

Den vier Protagonist_innen wird sehr viel Raum gegeben, sie werden vielschichtig portraitiert und vor allem! reflektieren und dekonstruieren sie sehr selbstbewusst und überlegt die eigene Position, Männlichkeit/Maskulinität und Transition.

Hier: Kein furchtbares Leiden, kein Leben im falschen Körper, kein Verstecken, keine schrecklichen Narben und kein immer wieder reproduziertes Mackergehabe, weil das ja zur Männlichkeitsperformance dazugehöre.

Statt dessen: Kritik am medizinischen System, das Trans*leute durchlaufen müssen, wenn sie Namens- oder Körperänderungen durchsetzen wollen (das ist übrigens in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich, ich selbst spreche aus dem deutschen Kontext). Kritik am Zweigeschlechtersystem, an Sexismus und patriarchalen Verhältnissen und – wow und danke dafür! – Reflexionen über die Privilegien, die sich ergeben, wenn eine_r dann plötzlich mehr und mehr männlich passt. Und sogar ein Nachdenken darüber, wie ftm* kritisch mit diesen Privilegien umgehen kann.

Und dann hatte ich zwischendurch doch immer wieder dieses *Autsch-Gefühl, dieses ganz spezifische Trans*Doku-Autsch. Wie gesagt, ich hab echt schon viele Trans*Dokus gesehen und es gibt Dinge, die tauchen immer und immer wieder auf. Und nerven mich.

Zunächst kommen mir (wie ganz häufig bei Dokumentationen) Fragen zur Machart: Wer steckt hinter dem Film? Wer ist die filmende Person und was möchte sie hier erreichen? Wie positioniert sich die Person selbst zu trans*? Warum macht sie diese Doku und wie wurden die Protagonist_innen ausgesucht? Sind sie alle bekannte Personen, so wie Lynn Breedlove? Sind die Protagonist_innen der filmenden Person persönlich bekannt? Oder untereinander? Das bleibt hier alles offen und damit die_der Filmschaffende, die Kontexte, die dahinter liegenden Strukturen Leerstellen.

Dann: Warum sehe ich hier eigentlich nur ftm? Wo sind die Trans*Frauen/Femininitäten? Oder Trans* of Colour? Beide tauchen hier nur als Randfiguren auf und sind da offensichtlich auch politische Akteur_innen (auf der Demo, in der Gesprächsgruppe), werden aber nicht hauptsächlich portraitiert. Fragen nach Maskulinität, Femininität, Passing, Zugehörigkeit hängen aber eng damit zusammen und sind hier also nur als kleiner Ausschnitt dokumentiert. Was an sich nicht so schlimm wäre, bliebe dieser Ausschnitt nicht unkommentiert, denn damit wird er zum Normalzustand.

Ähnlich steht es um die Freund_innen/Partner_innen der Gefilmten. Ich ärgere mich über die eine Alibi-Freund_in, die kurz was sagen darf, dabei einen großen und wichtigen Bereich anschneidet (das eigene Gender für sich und in Bezug zur trans*maskulinen Person) und dann auch schon wieder nicht mehr vorkommt. Partner_innen und Freund_innen von Trans*leuten sind ganz existenzielle Leute im Trans*leben, die sehr viele private Krisen und Probleme abfangen, ständig Gender unterstützen und konstruieren und mit ihrer eigenen Identität und ihrem eigenen Selbstverständnis durch die Trans*identität beeinflusst werden. Dass die Rolle von Trans*partner_innen in Trans*Dokus immer wieder ausgeblendet oder auf eine oberflächliche Nebenrolle reduziert wird, finde ich schade und nicht ausreichend. Trans*personen sind nicht Akteur_innen ohne Netzwerk.

Orr: Warum muss ich in _jeder_ Trans*Dokumentation Kinderfotos sehen? Und ist sie noch so queer, die Beweise, dass diese Person früher ganz anders aussah, dürfen nicht fehlen. Ich halte das 1. für paternalistisch: Warum reicht es nicht aus, die Trans*leute für sich und fürs Jetzt sprechen zu lassen? Und 2. findet hier jedes Mal eine biologische Rückbindung statt: Guckt mal, dieser Typ war früher _wirklich_ ein Mädchen, falls Du’s nicht glaubst – hier ist das Foto.

Da bleibt in meinen Augen leider auch die Trans*Fotowand des einen Protagonisten mit der Wertschätzung des eigenen mehrgegenderten Lebens eine biologistische Beweisführung. (Diese Stelle des Films finde ich sehr ambivalent, denn gleichzeitig bricht die Person mit der häufig zitierten Vergangenheitslosigkeit.)
Und meines Erachtens immer wieder eine Frechheit ist die Aufnahme von Eltern, die Kinderfotos präsentieren und sich über das damalige Gender ihres Kindes äußern. Was mich zum nächsten Punkt bringt:

Deutungsmacht? Warum sehe ich in einer Trans*Doku Eltern, die ihre Meinung über das Gender ihres Kindes sagen? Teilweise hier sogar, ohne das die entsprechende Trans*person Einfluss auf die Szene hat? Gerade Familienzusammenhänge sind häufig im Zusammenhang mit Trans* echt mit Vorsicht zu genießen und bergen sehr viele vergangene und wiederholte Verletzungen.

Ambivalent: Einerseits finde ich es gut, verschiedene Trans*identitäten zu zeigen und verschiedenen Umgehensweisen mit trans* Raum zu geben. Das wurde hier unter anderem dadurch realisiert, dass die Protagonist_innen gesprochen haben und von der filmenden Person nicht kommentiert wurden (da ist die Deutungsmacht ja doch!). Das Nichtkommentieren führt hier allerdings auch dazu, dass Normativitäten, Mackertum und Sexismus im Raum stehen können, ohne aktiv hinterfragt zu werden. In diesem Fall ärgert mich insbesondere, dass die gängige heteronormative und biologistische Erzählung der männlichen Triebhaftigkeit unkommentiert bleibt. Die eigene Transition wird natürlich ganz unterschiedlich erlebt, interpretiert und mit Sinn besetzt, dazu möchte ich überhaupt nicht Einschränkungen oder Grenzen vorgeben. Aber für eine Doku, die offensichtlich zum Nachdenken über Geschlechterrollen anregen will (siehe Ankündigungstext), finde ich die Reduzierung von maskuliner Identität auf den Sexualtrieb sehr sehr schade.

Und schließlich: Warum!! Kann ich nicht eine Trans*Doku sehen, in der nicht irgendwann jemand sein Hemd auszieht? In diesem Fall endet sogar die gesamte Doku mit einer fröhlich-nackten Reihe unterschiedlicher Männer_*Oberkörper. Was erzählen mir diese Körper über die Identität der Personen? Soll das Publikum Brustvergleiche anstellen? Was passiert mit der einen Person, die sich sichtlich unwohl fühlt, während alle ihre Shirts ausziehen? Trans*Männlichkeit wird leider immer wieder an nackter Körperlichkeit verhandelt. Das ist schade, weil wieder der Verweis auf den biologischen/natürlichen/versehrten Körper herangezogen werden muss. Ohne Kommentar und in einer TV-Produktion finde ich das zwar einerseits sehr mutig und nehme es auch als get used to it-Affront gegen den normierenden Blick wahr. Andererseits sind Trans*Körper und -Identitäten voraussetzungsvoll und ich habe das Gefühl, dass der hegemoniale Blick auf den nackten Trans*Körper biologisch rückversichernd, entlastend und vereinnahmend ist.

Alles in allem: Ambivalent.

Aktualisiert: Zum Weitergucken: Anton Binnig: Jungs wie ich und du.