Vor ein paar Tagen sah ich auf arte die Dokumentation „Meine Seele hat kein Geschlecht“ (ich schweige zum Titel) über vier Trans*leute, die sich alle unterschiedlich maskulin verorten (leider momentan nicht mehr online). Beim Gucken erlebte ich ein interessantes Wechselbad der Gefühle von „Yeah – total gut“ zu „oh nein, nicht das schon wieder“. Das ist es wert, etwas genauer auseinander genommen zu werden.
Vorweg: „Meine Seele hat kein Geschlecht“ ist eine der intelligentesten Trans*Dokus, die ich bisher gesehen habe (ich hab einige gesehen). Für den Mainstream-TV-Bereich würde ich sogar sagen: Die Beste. Das hat mich sehr gefreut und wenn ihr die Chance habt, die Doku zu sehen, dann tut das, es lohnt sich. Da steckt ganz viel drin.
Was diese Doku von anderen abhebt:
Den vier Protagonist_innen wird sehr viel Raum gegeben, sie werden vielschichtig portraitiert und vor allem! reflektieren und dekonstruieren sie sehr selbstbewusst und überlegt die eigene Position, Männlichkeit/Maskulinität und Transition.
Hier: Kein furchtbares Leiden, kein Leben im falschen Körper, kein Verstecken, keine schrecklichen Narben und kein immer wieder reproduziertes Mackergehabe, weil das ja zur Männlichkeitsperformance dazugehöre.
Statt dessen: Kritik am medizinischen System, das Trans*leute durchlaufen müssen, wenn sie Namens- oder Körperänderungen durchsetzen wollen (das ist übrigens in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich, ich selbst spreche aus dem deutschen Kontext). Kritik am Zweigeschlechtersystem, an Sexismus und patriarchalen Verhältnissen und – wow und danke dafür! – Reflexionen über die Privilegien, die sich ergeben, wenn eine_r dann plötzlich mehr und mehr männlich passt. Und sogar ein Nachdenken darüber, wie ftm* kritisch mit diesen Privilegien umgehen kann.
Und dann hatte ich zwischendurch doch immer wieder dieses *Autsch-Gefühl, dieses ganz spezifische Trans*Doku-Autsch. Wie gesagt, ich hab echt schon viele Trans*Dokus gesehen und es gibt Dinge, die tauchen immer und immer wieder auf. Und nerven mich.
Zunächst kommen mir (wie ganz häufig bei Dokumentationen) Fragen zur Machart: Wer steckt hinter dem Film? Wer ist die filmende Person und was möchte sie hier erreichen? Wie positioniert sich die Person selbst zu trans*? Warum macht sie diese Doku und wie wurden die Protagonist_innen ausgesucht? Sind sie alle bekannte Personen, so wie Lynn Breedlove? Sind die Protagonist_innen der filmenden Person persönlich bekannt? Oder untereinander? Das bleibt hier alles offen und damit die_der Filmschaffende, die Kontexte, die dahinter liegenden Strukturen Leerstellen.
Dann: Warum sehe ich hier eigentlich nur ftm? Wo sind die Trans*Frauen/Femininitäten? Oder Trans* of Colour? Beide tauchen hier nur als Randfiguren auf und sind da offensichtlich auch politische Akteur_innen (auf der Demo, in der Gesprächsgruppe), werden aber nicht hauptsächlich portraitiert. Fragen nach Maskulinität, Femininität, Passing, Zugehörigkeit hängen aber eng damit zusammen und sind hier also nur als kleiner Ausschnitt dokumentiert. Was an sich nicht so schlimm wäre, bliebe dieser Ausschnitt nicht unkommentiert, denn damit wird er zum Normalzustand.
Ähnlich steht es um die Freund_innen/Partner_innen der Gefilmten. Ich ärgere mich über die eine Alibi-Freund_in, die kurz was sagen darf, dabei einen großen und wichtigen Bereich anschneidet (das eigene Gender für sich und in Bezug zur trans*maskulinen Person) und dann auch schon wieder nicht mehr vorkommt. Partner_innen und Freund_innen von Trans*leuten sind ganz existenzielle Leute im Trans*leben, die sehr viele private Krisen und Probleme abfangen, ständig Gender unterstützen und konstruieren und mit ihrer eigenen Identität und ihrem eigenen Selbstverständnis durch die Trans*identität beeinflusst werden. Dass die Rolle von Trans*partner_innen in Trans*Dokus immer wieder ausgeblendet oder auf eine oberflächliche Nebenrolle reduziert wird, finde ich schade und nicht ausreichend. Trans*personen sind nicht Akteur_innen ohne Netzwerk.
Orr: Warum muss ich in _jeder_ Trans*Dokumentation Kinderfotos sehen? Und ist sie noch so queer, die Beweise, dass diese Person früher ganz anders aussah, dürfen nicht fehlen. Ich halte das 1. für paternalistisch: Warum reicht es nicht aus, die Trans*leute für sich und fürs Jetzt sprechen zu lassen? Und 2. findet hier jedes Mal eine biologische Rückbindung statt: Guckt mal, dieser Typ war früher _wirklich_ ein Mädchen, falls Du’s nicht glaubst – hier ist das Foto.
Da bleibt in meinen Augen leider auch die Trans*Fotowand des einen Protagonisten mit der Wertschätzung des eigenen mehrgegenderten Lebens eine biologistische Beweisführung. (Diese Stelle des Films finde ich sehr ambivalent, denn gleichzeitig bricht die Person mit der häufig zitierten Vergangenheitslosigkeit.)
Und meines Erachtens immer wieder eine Frechheit ist die Aufnahme von Eltern, die Kinderfotos präsentieren und sich über das damalige Gender ihres Kindes äußern. Was mich zum nächsten Punkt bringt:
Deutungsmacht? Warum sehe ich in einer Trans*Doku Eltern, die ihre Meinung über das Gender ihres Kindes sagen? Teilweise hier sogar, ohne das die entsprechende Trans*person Einfluss auf die Szene hat? Gerade Familienzusammenhänge sind häufig im Zusammenhang mit Trans* echt mit Vorsicht zu genießen und bergen sehr viele vergangene und wiederholte Verletzungen.
Ambivalent: Einerseits finde ich es gut, verschiedene Trans*identitäten zu zeigen und verschiedenen Umgehensweisen mit trans* Raum zu geben. Das wurde hier unter anderem dadurch realisiert, dass die Protagonist_innen gesprochen haben und von der filmenden Person nicht kommentiert wurden (da ist die Deutungsmacht ja doch!). Das Nichtkommentieren führt hier allerdings auch dazu, dass Normativitäten, Mackertum und Sexismus im Raum stehen können, ohne aktiv hinterfragt zu werden. In diesem Fall ärgert mich insbesondere, dass die gängige heteronormative und biologistische Erzählung der männlichen Triebhaftigkeit unkommentiert bleibt. Die eigene Transition wird natürlich ganz unterschiedlich erlebt, interpretiert und mit Sinn besetzt, dazu möchte ich überhaupt nicht Einschränkungen oder Grenzen vorgeben. Aber für eine Doku, die offensichtlich zum Nachdenken über Geschlechterrollen anregen will (siehe Ankündigungstext), finde ich die Reduzierung von maskuliner Identität auf den Sexualtrieb sehr sehr schade.
Und schließlich: Warum!! Kann ich nicht eine Trans*Doku sehen, in der nicht irgendwann jemand sein Hemd auszieht? In diesem Fall endet sogar die gesamte Doku mit einer fröhlich-nackten Reihe unterschiedlicher Männer_*Oberkörper. Was erzählen mir diese Körper über die Identität der Personen? Soll das Publikum Brustvergleiche anstellen? Was passiert mit der einen Person, die sich sichtlich unwohl fühlt, während alle ihre Shirts ausziehen? Trans*Männlichkeit wird leider immer wieder an nackter Körperlichkeit verhandelt. Das ist schade, weil wieder der Verweis auf den biologischen/natürlichen/versehrten Körper herangezogen werden muss. Ohne Kommentar und in einer TV-Produktion finde ich das zwar einerseits sehr mutig und nehme es auch als get used to it-Affront gegen den normierenden Blick wahr. Andererseits sind Trans*Körper und -Identitäten voraussetzungsvoll und ich habe das Gefühl, dass der hegemoniale Blick auf den nackten Trans*Körper biologisch rückversichernd, entlastend und vereinnahmend ist.
Alles in allem: Ambivalent.
Aktualisiert: Zum Weitergucken: Anton Binnig: Jungs wie ich und du.