Kategorie-Archiv: queer

Offen für Frauen* Oder: Wen will ich eigentlich dabei haben?

Wenn ihr gerade überhaupt keine Lust auf einen längeren Text habt, hier ein wirklich kurzes tl;dr:

  • Frauen* ist in den meisten Fällen gut gemeint, aber leider in den meisten Fällen transfeindlich. Sinnvoller ist es, genau aufzuschreiben, wen eins bei einer Veranstaltung dabei haben möchte und wen nicht.
  • Frauen* wird schon richtig lange aus trans* Kreisen kritisiert. Wir machen das aus Gründen und viele Leute haben sich viele Gedanken gemacht, deshalb ist es völlig okay, das Sternchen einfach wegzulassen.

 

Und jetzt die Langversion!

Es ist Anfang März! Ich freue mich über die neuen Blümchen und versuche mir so oft wie möglich die Sonne auf die Nase scheinen zu lassen! Worüber ich mich nicht freue, sind die alljährlich zu dieser Zeit hochgehenden Diskussionen um die Schreibweise Frauen*. (Vor allem, weil ich mich schlecht abgrenzen kann, naja.) Am 08.03. ist ja Feministischer Kampftag / Internationaler Frauentag. Drumrum finden diverse (queer-)feministische Veranstaltungen statt, die häufig definieren, wer an ihnen teilnehmen darf. Und wie jedes Jahr gibt es Debatten für und gegen das Sternchen, ob und warum Aktionen für Frauen* cool oder nicht cool sind.

Die Schreibweise Frauen* wird seit langem von trans* Leuten kritisiert, weil sich fast immer unreflektierter Ausschluss von trans Frauen und Einschluss von Menschen, die nicht Frauen sind, dahinter verbirgt. Ich hab in der Vergangenheit diskutiert und gelernt und aufgeklärt und nichts gesagt und was anderes gemacht und dieses Jahr hatte ich Lust, meine Gedanken in einen Text zu packen. Vor allem zu meiner eigenen Entspannung: So kann ich in Zukunft darauf verweisen und hab einen Merkzettel weniger im Gehirn kleben.

Was in diesem Text also passiert: Ich gehe die Diskussionen um die Schreibeweise mit Sternchen durch und schreibe, was ich dazu weiß und was meine Gedanken dazu sind.

Ich schreibe aus inzwischen über 20 Jahren Aktivismus mit sehr vielen von mir mitgestalteten Räumen. Ich habe Räume organisiert und besucht
für Feministinnen, FeministInnen, Feminist_innen, Feminist*innen und Feminist:innen
für Frauen
für Frauen+
für bisexuelle und lesbische Frauen
für queere Frauen
für Queers
für Transpersonen, trans Personen und trans* Personen
für inter und trans Personen
für Frauen*
für FLT
für FLTI
für FLIT*
für FLINT
für FLINTA
und wahrscheinlich für jede Menge anderer Gruppendefinitionen, die ich hier leider vergessen habe.

Ich stehe den Diskussionen um Räume und ihre Zugangsdefinitionen sehr gemischt gegenüber. Einerseits nerven sie mich und mich nerven die in ihnen passierenden Ausschlüsse. Andererseits sind diese Raumdefinitionen wichtiger Bestandteil (queer-)feministischer Communities, weil in ihnen ja immer wieder die wechselnden Begrifflichkeiten und Identifizierungen diskutiert und aktualisiert werden. Das interessiert mich sehr, auch wenn ich da nicht allen Veränderungen positiv gegenüber stehe. Denn leider ist es auch so, dass bestimmte Diskussionen immer wieder neu geführt werden, während andere immer wieder vergessen werden. Das ist frustrierend, auch deshalb heute dieser Text.

Ich liste hier, welche Argumente ich für die Schreibweise mit Sternchen kenne und erkläre, wo es da meines Wissens nach hakt. Ich schreibe auch was zu Ausnahmen und was ich denke, was sinnvolles Handeln sein könnte.

Es wird ein längerer Text (na klar…) und vielleicht zwischendurch auch mal widersprüchlich.
Friendly reminder, konträr zu Debatten auf Social Media: Widersprüche sind okay!

Auf geht’s! Ich freu mich, wenn ihr mich begleitet.

 

Argumente für die Schreibweise mit Sternchen, die mir begegnet sind:

1. Wir schreiben Frauen* mit Stern, um alle Frauen mitzumeinen.
Ich habe bisher fast immer dazu gehört, dass die Veranstalter_innen gerne zeigen wollen, dass sie für alle Frauen offen sind, auch für trans Frauen.
Das ist ja im Grunde genommen toll! Ich freue mich sehr, dass Leute trans* Frauen mitdenken und sich Gedanken darüber machen, wie sie – häufig sehr cis-weiblich geprägte – Räume inklusiver machen können.
Das Problem ist: Wenn alle Frauen gemeint sind, dann sind trans Frauen eh schon dabei. Dafür braucht es keine extra Schreibweise des Wortes Frau. Wenn ich trans Frauen wirklich und ehrlich als Frauen akzeptiere, dann sind sie Frauen, nicht Frauen mit extra Sternchen.
Zwischen Frauen und wirklich allen Frauen (dann: Frauen*) zu unterscheiden, macht leider folgende Schere auf: Es gibt diejenigen, die so klar und natürlich Frau sind, dass sie nicht extra diskutiert werden müssen. Zu diesen Frauen ist klar, dass sie Frauen und dass Frauenräume ihre Räume sind. Und dann gibt es die Frauen, die offensichtlich doch nicht ganz so klar Frauen sind und deshalb über einen erweiterten Frauenbegriff mit Sternchen reingeholt werden müssen.
Da es unter Frauen* dann meistens darum geht, trans Frauen mitzumeinen, sind Frauen (ohne Stern) im Umkehrschluss cis Frauen. Und damit rutschen wir leider in platten Biologismus und bewegen uns ziemlich nah an TERF-Argumentationen entlang.
(TERF: trans exclusionary radical feminists – trans Personen ausschließende Radikalfeminist_innen)
Wenn eine Veranstaltung für alle Frauen ist, dann ist sie für alle Frauen, auch diejenigen, die trans sind. Es braucht dafür keine extra Sternchen. Jedes extra Bezeichnen im Begriff Frau macht eine Unterscheidung zwischen cis und trans auf, die leider eine biologistische Teilung in echt/nicht zu diskutieren und irgendwie-nicht-ganz-so-echt/extra-zu-bezeichnen mitschleppt.

2. Wir schreiben Frauen* mit Stern, um alle Personen mitzumeinen, die unter dem Patriarchat leiden.
Das sind im Grunde genommen alle Menschen. Patriarchat und Sexismus schaden allen Menschen, auch dya-cis Männern.
Deshalb Feminismus, Diggies! <3

3. Wir schreiben Frauen* mit Stern, um alle Personen mitzumeinen, die von Patriarchat und sexistischen Verhältnissen negativ betroffen sind.
Okay, jetzt ein bisschen genauer!
Gemeint ist damit meistens: Eine Veranstaltungsgruppe hat sich Gedanken über ihren Raum gemacht, hat festgestellt, dass nicht nur Frauen von sexistischen Verhältnissen betroffen sind, sondern zum Beispiel auch trans Männer oder nicht-binäre Personen und möchte für diese ebenfalls den Raum öffnen.
Auch das: Super! Denn es ist ja so, dass nicht nur cis und trans Frauen von Sexismus und Patriarchat negativ betroffen sind, sondern eine Menge anderer Leute außerdem, je nachdem wie sie in sexistische und patriarchale Strukturen eingefasst sind.
Das Problem ist, dass sich ein Teil der Leute, die jetzt auch mitgemeint sind, nicht als Frauen definieren.
Da hilft dann auch kein Sternchen – für Menschen, die sich nicht als Frauen bezeichnen, ist es in den meisten Fällen auch nicht okay, sich dann als Frauen* bezeichnen zu lassen. Dafür ist hier der Begriff Frau zu wirkmächtig und Frau* zu dicht an diesem Begriff dran.
Diese Leute trotzdem unter einen verallgemeinernden Frauen-Begriff zu packen ist respektlos, übergeht die Selbstdefinition und macht unterschiedliche und marginalisierte Lebensgeschichten unsichtbar.
Insbesondere, weil es häufig Leute sind, die sich vom Begriff Frau erst mühsam entfernen mussten und für die eine Zuordnung zu diesem Label eine Negierung ihrer trans*-Erfahrungen sein kann.
In dya-cis-dominierten Räumen ist es außerdem gängig, dass die Auseinandersetzung mit verschiedenen Geschlechtern, mit dem Begriff Frau und mit seinen Ausschlüssen nicht auf einem vergleichbaren Level ist. Für viele Leute, die ein cis-weibliches Passing haben, sich aber nicht als Frau definieren, kann das bedeuten, dass sie von anderen anstrengend unreflektiert immer wieder als cis-weiblich gelesen und angesprochen werden.
Wenn ihr einen Raum für alle Personen aufmachen wollt, die von Sexismus und Patriarchat negativ betroffen sind, dann nennt ihn weder Frauen- noch Frauen*-Raum.

4. Wir schreiben Frauen*, weil wir auf die Tradition des Frauen-Raumes verweisen wollen.
Das kann ich sehr gut verstehen. Frauen-Kämpfe sind immer auch Teil anderer Bewegungen (gewesen), haben diese beeinflusst und sich von diesen beeinflussen lassen.
Dazu gehört aber auch, dass Räume sich verändern und Kämpfe differenzierter werden. Und zwar nicht, weil plötzlich trans und nicht-binäre Stimmen dazu kommen. Sondern weil diese Stimmen inzwischen besser wahrgenommen werden (können). Weil auch ihnen lange Kämpfe vorangehen. Weil unsere Wahrnehmungsgrenzen mit dem Internet durchlässiger geworden sind und marginalisiertes Wissen schneller reisen kann. Der Begriff Frau und was und wen er eigentlich inhaltlich meint war die ganze Zeit umkämpft und es ging immer auch darum, wie wir Räume offener und willkommener gestalten können. Teil der Geschichte marginalisierter Feminismen (Schwarzer Feminismus, Queer-Feminismus, Jüdischer Feminismus, hier als nicht vollständige Beispiele) war immer auch die Kritik am jeweils dominanten Feminismus und seinen Ausschlüssen.
Wenn Frauen das Gefühl haben, dass ihnen in umkämpften Situationen wie z.B. Raumöffnungsdebatten etwas weggenommen wird, dann ist das häufig tatsächlich so: Wir haben keine unendlichen Ressourcen; mehr Gerechtigkeit für alle muss damit auch bedeuten, dass manche Menschen an bestimmten Stellen etwas abgeben müssen. Geld, Raum, Redezeit, Sendezeit, was auch immer. Dya-cis Frauen, weiße Frauen, in Bezug auf Klassismus privilegierte Frauen, schlanke Frauen, nicht-behinderte Frauen, Nicht-Sexarbeiter_innen, akademisch gebildete Frauen (usw.) sind Personen, die in Bezug auf ihr Frausein marginalisiert sind, darin aber durchaus über einige Ressourcen verfügen, eben je nach Kontext und Situation. (Das gilt natürlich auch für weiße trans Personen oder nicht-binäre Personen mit cis Passing (usw.), nur der Vollständigkeit halber!)
Meine Überzeugung ist, dass alle Menschen etwas davon haben, wenn wir diejenigen unterstützen, die in bestimmten Situationen und Kontexten die wenigsten Ressourcen haben. Was wir an dieser Stelle lernen müssen, ist, dass ein Abgeben von Ressourcen auf lange Zeit eine Situation schafft, die besser für alle ist. Im Zweifelsfall ist der Schmerz, den ich spüre, wenn ich etwas abgeben muss, für eine andere Person Alltag, weil sie diese Ressourcen von vornherein nicht hat.
Meine Überzeugung ist auch, dass damit die Unterstützung für Frauen nicht verloren geht. Aber neben Frauen werden jetzt auch andere benachteiligte Personen unterstützt, und das wäre eine Welt, in der ich leben möchte.
Meiner Erfahrung nach ist es gerade für cis Frauen, und vielleicht vor allem für weiße hetero cis Frauen schwer, sich die eigene Privilegierung einzugestehen.
Aber Privilegien zu haben ist nicht schlimm, es ist wichtig, wie wir mit ihnen umgehen.

5. Wir schreiben Frauen* mit Stern, um extra darauf hinzuweisen, dass wir wirklich alle Frauen mitdenken und vor allem auch trans Frauen auf dem Schirm haben.
Klingt ziemlich doll wie der erste Punkt in meiner Liste, ich würde aber gerne noch ein bisschen erweitern. Ich gehe natürlich davon aus, dass es Gruppen gibt, die sich der Problematik feministischer und queer-feministischer Räume in Bezug auf trans Frauen bewusst sind und die deshalb zeigen möchten, dass trans Frauen insbesondere willkommen und mitgedacht sind.
Es ist ja leider so, dass feministische und queer-feministische Räume cis-normativ sind. Das wird sich so schnell nicht ändern, auch wenn wir alle die ganze Zeit daran arbeiten würden und das tun wir nicht.
Cis ist eine der Normen unserer Räume. Sie ist Teil der Architektur. Sie bestimmt, wie wir Leute sehen, wie wir ihre Stimmen einordnen, ihre Körper, ihre Bewegungen, ihre Interaktionen. Sie bestimmt die Bilder, die im Kopf auftauchen, wenn wir Menschen begegnen. Sie bestimmt, welche angenommenen Vergangenheiten und Zukünfte wir über Leute stülpen, von welchen Dingen wir ausgehen und was uns zu einer bestimmten Person gar nicht erst in den Kopf kommt.
Wir alle sind cis-sexistisch aufgewachsen, weil unsere Gesellschaft und die Menschen darin cis-sexistisch sind. Das ist eine Denk- und Handlungsstruktur, die wir in mühsamer Arbeit umlernen müssen. (Ich schreibe hier das erste Mal nicht verlernen, weil ich gelernt habe, dass nichts verlernt wird, sondern ich eher Dinge dazu lerne. Also eine Verschiebung des Gewussten. Danke an hrmpfm für die laufenden Diskussionen an dieser Stelle!) Cis-Sexismus betrifft uns alle, auch trans* Personen (sorry, es wäre so leicht gewesen!). Ich merke z.B. Cis-Normativität, wenn ich Leute ohne nachzudenken in ein Geschlecht einordne. Oder wenn meine Aufmerksamkeit und meine Themen doch wieder cis-zentriert sind. Wenn ich meine Energie auf cis Personen lenke, statt auf die Stärkung und Weiterentwicklung von trans* Communities.
(Und ja, genau das mache ich hier in diesem Artikel: Unbezahlte Aufklärungsarbeit über schon lange bekannte Themen für Leute, die bisher noch nichts davon gehört haben. Was total okay ist, denn ich hab mich dafür entschieden.
Aber: Cis-Normativität, cis-normatives Verhalten meinerseits, Orientierung an cis Personen, Priorisierung von cis Personen in meinem Leben in diesem Moment.)
Cis-Normativität ist also immer Teil unserer Räume, deshalb braucht es extra Arbeit, um diese Räume offener für trans Personen zu gestalten. Es reicht nicht, uns mitzumeinen.
Ich gehe also davon aus, dass es Gruppen gibt, die sich genau über diese Problematik Gedanken gemacht haben und dies zeigen wollen, indem sie den Frauen-Begriff in Frage stellen. Aber Punkt 1 gilt leider nach wie vor. Und egal wie reflektiert ein Raum oder eine Gruppe sind, die Spuren vergangener Diskussionen und Ausschlüsse lassen sich aus der Frauen-Sternchen-Schreibweise nicht löschen. Wenn ihr also diese Spuren nicht wiederholen wollt, lohnt es sich, das Sternchen wegzulassen.

6. Wir schreiben Frauen* mit Stern, weil die anderen das auch so machen.
Jupp, kann ich sehr gut verstehen, hab ich auch immer wieder bei Themen gemacht und manchmal ist es gut gegangen und manchmal nicht. Das Internet ist schnell und Sachen verselbständigen sich gerne, ohne dass die (häufig marginalisierten) Gegenargumente mitgenommen werden. Community-Sprache ändert sich und das häufig schnell und wir sind schnell dabei, Leuten veraltete Sprache vorzuwerfen.
Ich wünsche Gruppen (Veranstaltungs-, Polit-, Lesegruppen usw.) aus vollem Herzen, dass sich genug Zeit genommen wird, um die eigenen Grundsätze auszudiskutieren und informiert den eigenen Raum zu definieren. Dazu gehört, sich genau anzugucken, was andere vor mir gemacht haben und warum, was sie dazu gesagt oder geschrieben haben und warum sie bestimmte Sachen nicht (mehr) machen. Dazu kann auch gehören, sich Leute zu suchen und deren Wissen anzufragen, dabei insbesondere toll: Betroffene marginalisierte Leute, gegen Geld.
Ich denke, dass wir häufig den Drang haben, möglichst schnell aktiv zu werden und uns schnell zu positionieren. Das habe ich auch viel und lange gemacht und es hat sich in den allermeisten Fällen auch wirklich und ehrlich gut und richtig angefühlt. Eben weil ich etwas getan habe. Inzwischen versuche ich langsamer zu sein. Politische Kämpfe mit ihren Diskursen und Positionen sind super komplex und kompliziert und nicht schnell zu erfassen. Gerade marginalisierte Positionen gehen häufig neben den häufig wiederholten Argumenten unter oder sind viel schwieriger zu finden. Inzwischen mache ich lieber eine Weile länger nichts nach außen, sondern höre erstmal zu, lese, diskutiere mit meinen nächsten Menschen.
Es kann sein, dass ein Großteil meiner Community etwas so macht. Es kann aber auch sehr gut sein, dass dieser Großteil dabei aus einer Position spricht, die die marginalisierten Debatten nicht kennt und/oder nicht vertritt.
Außerdem finde ich es immer wertvoll, mich in Zusammenhängen gemeinsam weiterzubilden und zu sehen, worauf wir uns dann einigen können.

7. Wir schreiben Frauen*, um auf die weiße, nicht-behinderte, cis etc. Norm in Frau hinzuweisen und den Begriff zu erweitern.
Das finde ich einen tollen Grund! <3 Mein intersektionales Herz geht auf, wenn der Begriff Frau auf sein implizites Weißsein, Gesundsein, Schönsein, Heterosein usw. untersucht und hinterfragt wird. Frau als Konzept meint immer nur bestimmte Frauen, es ist ein Norm-Begriff. Die in der sogenannten zweiten feministischen Welle (eine an sich schon westlich-weiße Sichtweise auf feministische Bewegungen) gesetzte universelle weibliche Erfahrung ist am Ende überhaupt keine universelle, sondern eine sehr spezifisch positionierte: Westlich, weiß, mittelständisch, neurotypisch, nicht-behindert, nicht prekär, nicht migriert, cis, hetero (und wie immer auch hier: usw.). Wir erkennen die Norm daran, welche Gruppen von Frauen extra bezeichnet werden müssen, weil der Marker Frau alleine nicht ausreicht: Schwarze Frauen, behinderte Frauen, Frauen of Colour, trans Frauen… Geschlecht ist untrennbar verwoben mit Nation, Rassifizierung, Kolonialismus, Körper, Behinderung und Leistungsfähigkeit… Das heißt, dass unsere feministischen Debatten dann wirklich sinnvoll werden, wenn wir die verschiedenen Kategorisierungen in ihrer Verschränkung mit in unsere Analysen einbeziehen. Wenn wir untersuchen, welche Gründe es hat, dass Frau sehr spezifische Bedeutungen trägt. Denn die Definition von Frau vor einem rassistischen, ableistischen, cis-sexistischen Rahmen definiert eben auch, wer nicht in das Konzept gehört. Das hatte und hat immer Gründe von Ausschluss, Machterhalt und dem Absprechen von Menschlichkeit.
Aber! (Ihr habt schon drauf gewartet, ich weiß, hier kommt das Aber.) Neben den Spuren, die der Begriff Frauen* im Kontext der Debatten um trans* Ausschlüsse trägt, ist mir Frauen* für diese Diskussion einfach auch zu kurz. Dass sich eine Gruppe mit den Normen von Weißsein oder Cissein oder Leistungsfähig-Sein innerhalb des Konzeptes Fraubeschäftigt hat erkenne ich nicht daran, dass auf einer Einladung Offen für Frauen* steht.

 

Verkomplizierungen am Rand, weil ich sie mag:

Ja, es gibt Leute, für die der Unterschied zwischen Frau und Frau* für die Selbstbezeichnung wichtig und sinnvoll ist! Es gibt Leute, die Frauen* sind, aber keine Frauen. Aber diese Gruppe ist nur ein Teil der großen Gruppe von Menschen, die in den Beispielen oben mit Frauen* bezeichnet werden sollen und von ihnen aus zu verallgemeinern funktioniert nicht.
Hier ja leider eher im Gegenteil – siehe Punkt 5 – da die Diskussion um das Sternchen einfach für viele trans Personen schon beladen ist und so viele Echos aus vergangenen Debatten trägt.
Und auch in diesem Fall ist es ja eigentlich sowieso cooler, den Raum gleich so zu gestalten, dass sich mehr Leute gemeint fühlen, denn wenn sich bestimmte Frauen* nicht unter Frauen wiederfinden, dann wird es auch noch andere Personen geben, für die das Label nicht ausreicht.

Ich weiß, es gibt den Spruch Trans Frauen sind Frauen und der ist für bestimmte Personen, Situationen und Kontexte sehr, sehr sinnvoll! Aber es gibt auch trans Frauen, die sich nicht oder nicht nur als Frauen definieren. Und es gibt Menschen, die als trans Frauen gelesen werden, sich aber eventuell gar nicht mit irgendeiner dieser Bezeichnungen definieren. Trans Frauen sind Frauen ist für bestimmte plakative Situationen ein guter plakativer Grundsatz. Aber wenn es um differenzierte Raum- und Identifikationsdiskussionen geht, dann ist dieser Satz zu kurz gedacht.
Nicht alle trans Frauen sind Frauen.
Nicht alle trans Männer sind Männer.

Dieses Jahr habe ich vermehrt die Aufzählung Frauen, trans Männer und nicht-binäre Personen gesehen. An dieser Stelle möchte ich meine Lesebrille aufsetzen, es mir in meinem Ohrensessel gemütlich machen (den ich nicht habe, was ich anprangere!) und einen Schwank aus meiner Jugend erzählen. Aber das lass ich mal sein, weil peinlicher Hase.
Was ich gerne sagen möchte: Wenn diese Formulierung für euch so gut und sinnvoll klingt, dann macht euch bitte, bitte mit trans Geschichte vertraut.
Trans Personen waren immer schon sehr unterschiedlich, es gab diejenigen, die im heutigen Sinne binär waren und sind und diejenigen, die das nicht waren und sind und diejenigen, die das binäre Geschlechtersystem kritisieren und sich in diesem Zusammenhang kritisch und politisch als trans* verorten. Trans Leute haben ihre Körper und ihr Aussehen verändert, oder sie haben das nicht getan. Sie haben andere Namen angenommen oder sie haben das nicht getan. Menschen, die die Geschlechternormen ihrer Gesellschaften übertreten oder infrage gestellt haben, gibt es schon lange, lange, lange. Trans(sexualität) als medizinisch-psychiatrisches Konzept und das gegenwärtige Verständnis von trans ist weiß-westlich geprägt und nicht-binäre Menschen sind längst nicht die ersten, die die Geschlechterbinarität ablehnen und sich anders darin oder außerhalb davon verorten.
An meinem eigenen Beispiel: Ich definiere mich als trans*, weder als Mann noch als Frau, auch nicht trans männlich oder weiblich, damn – gar nicht männlich oder weiblich, ich habe ein verwirrtes Passing, kümmere mich häufig nicht um meine Pronomen und das Konzept von Deadnames spricht mich nicht an, sondern eher die Idee von konstanter Veränderung. Offiziell falle ich eventuell in die erweiterte Kategorie von detransitioning, weil es eine kurze Zeit gab, in der ich männlich war, weil ich schon mal sehr viel mehr Hormone genommen habe und ein sehr viel männlicheres Passing hatte. Aber das Konzept von detransitioning spricht mich nicht an, sondern eher der Gedanke, dass wir alle die ganze Zeit in transition sind, ja, auch ihr Cissen, bitte sehr, jetzt hab ich’s gesagt. Ich habe Teile offizieller Behördengängelungen durchlaufen, andere Teile nicht, habe meinen Namen geändert, aber nicht meinen Personenstand, I fuck with gender und ich verstehe mich als queer (im wunderbaren nicht-identitären Sinne des Wortes, und was soll eins damit jetzt anfangen…).
Und ich bezeichne mich nicht als nicht-binär, weil sich für meinen Geschmack und mein Erleben diese Formulierung zu sehr an Binarität orientiert. Wo wäre ich in der oben genannten Aufzählung?
Ich sehe eine Tendenz, dass mit dem Aufkommen von non-binary als Identitätskategorie trans vereinfacht und geglättet wird und zwar häufig und ärgerlicherweise als binäres Gegenstück zu nicht-binär. Es gibt nun häufig trans Frauen und Männer und es gibt nicht-binäre Menschen.
In der Aufzählung Frauen, trans Männer und nicht-binäre Personen lässt sich das sehr deutlich lesen und ich finde es traurig, dass die Bandbreite und Vielfalt, die im trans* Begriff liegt, hier in eine Binarität gedrängt wird, die so nie unter trans gemeint war.
Besonders tragisch finde ich an dieser Stelle meine Erfahrung, dass trans*queere, transgender, genderfucking trans Personen vor dem Aufkommen von non-binary immer eher am Rand der trans Communities standen und häufig in ihren Belangen und Politiken nicht gesehen bis ausgeschlossen wurden – mit der neuen Abgrenzung von trans vs. nicht-binär wird diese Geschichte unsichtbar gemacht bzw. merkwürdig wiederholt.
Auch hier finde ich es sinnvoll und wichtig, sich Gedanken dazu zu machen, wen ich eigentlich meine, wenn ich bestimmte Wörter und Aufzählungen benutze. Welche Definitionen habe ich im Kopf und fassen die tatsächlich die Menschen und Erfahrungen, die hinter den Begriffen stehen? Wenn ihr gerne die Aufzählungen trans und nicht-binär oder trans, inter* und nicht-binär benutzt – ich mache das auch je nach Kontext – dann achtet besonders darauf, dass ihr nicht aus Versehen eine binär/nicht-binär-Trennung produziert.

 

Wie denn jetzt weiter?

Zunächst: Ich glaube, dass es sichere Räume nicht gibt. Vielleicht noch nicht, darauf könnte ich mich einlassen. Sicherheit ist etwas, was eins sich leisten können muss. Gerade mehrfach marginalisierte Personen erleben in Räumen, in denen viele verschiedene Menschen mit unterschiedlichem Bewusstsein für Diskriminierungsebenen zusammenkommen, sehr häufig keine Sicherheit. Es können immer Verletzungen passieren und viel wichtiger finde ich, wie wir als Communities damit umgehen können. Das ist aber ein anderer Text für einen anderen Tag.

Wenn ihr eine Gruppe sein wollt für Menschen, die von den negativen Folgen von Sexismus und Patriarchat betroffen sind, dann braucht das sehr wahrscheinlich eine genaue Auseinandersetzung mit eurer eigenen Positionierung und mit euren Vorstellungen von eurer Zielgruppe. Es kann sein, dass es teilweise Sinn macht, nicht über Identitäten zu beschränken. Es kann sein, dass ihr darüber Perspektiven kennenlernen werdet, an die ihr vorher noch nicht gedacht hattet. Es kann sein, dass es manchmal sinnvoller ist, an Themen zu arbeiten, statt an Identitäten.
Es kann sein, dass ihr an eure eigenen Grenzen kommt, im guten und im schlechten Sinn.
Unterschiedliche Positionierungen innerhalb unterdrückerischer Systeme machen unterschiedliche Erfahrungen und Effekte. Wir können hier voneinander lernen und die vielfältigen Einschränkungen durch Sexismus und Patriarchat besser erkennen. Darüber hinaus machen unterschiedliche Positionierungen jeweils unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten auf und gerade da können wir solidarisch miteinander sein und uns spezifisch gegenseitig unterstützen.

Lebt damit, dass ihr Ausschlüsse macht, wenn ihr euch festlegt. Und seid euch bewusst darüber, dass eventuell Menschen kommen und sich über diese Ausschlüsse bei euch beschweren werden.
Seid euch bewusst darüber, dass ihr mit Frauen- und Frauen*-Veranstaltungen nicht nur privilegierte Personen ausschließt, sondern auch Menschen, denen ihr gegenüber privilegiert seid und die sehr viel weniger Zugänge zu Räumen haben als ihr. Seid euch bewusst, dass ihr mit Veranstaltungen für Frauen TERF-Vorwürfe bekommen könntet – und zwar zurecht, weil ihr euch innerhalb von teilweise jahrzehntelangen Debatten befindet, aus denen ihr euch nicht einfach raushalten könnt.

Wenn ihr besonders trans* sensibel sein wollt, dann schreibt in eure Vorstellung, dass trans Frauen besonders willkommen sind oder dass ihr sie besonders auf dem Schirm habt oder dass ihr keine TERFs akzeptiert etc. Macht euch als Gruppe Gedanken und macht euch vor allem Gedanken über Schutzkonzepte – was passiert, wenn was schief läuft?

Am Ende finde ich es immer sinnvoller, genau zu diskutieren und zu benennen, wen ich dabei haben möchte und wen nicht und eventuell noch aus welchen Gründen. Hört zu, bleibt in Kontakt und Diskussion und bleibt flexibel. Informiert euch über TERF-Debatten und die Geschichte von trans Identitäten und ihren Ausschlüssen aus feministischen Räumen. Findet euren eigenen Umgang und steht dazu, macht ihn transparent. Versprecht nichts, was ihr nicht halten könnt. Weniger ist manchmal sehr viel mehr.

10 Jahre Testo

So! Im Juni 2019 hatte ich 10 Jahre Testo Jubiläum auf Niedrigdosis, und dazu bekommt ihr jetzt einen längeren nswf und tmi Text. 😀

Der folgende Text benennt Körperdinge, sexuelle Dinge, Körperveränderungen auf Testosteron, inklusive genauerer Beschreibungen von Genitalveränderungen. Überlegt euch, ob ihr das lesen möchtet. 🙂

Ich dachte, ich teil mal. Ich nehme Testo auf Niedrigdosis (microdosing), weil es für mich und mein Körpergefühl super funktioniert, ich das Gefühl habe, möglichst große Kontrolle über meine Hormoneinnahme zu haben und weil ich mit hormoneller Unterstützung von trans*queerer Körperlichkeit (nicht männlich, nicht weiblich; wahrscheinlich könnt ihr auch nb sagen) herumexperimentiere. Und das ist ja vielleicht interessant nachzulesen.
Disclaimer dazu: Alle Körper sind toll und alle Geschlechter sind Definitionssache! Ich benutze keine normativen biologischen Definitionen, für mich sind Körper mit oder ohne zusätzliche Gabe von Hormonen genau das, was sie sein sollen. Ich persönlich habe mich für Hormone entschieden.

Ich schreibe also dazu, wie ich mich körperlich verändert habe und wie ich das wahrnehme. Ich versuche außerdem, andere Aspekte reinzuschreiben, die was mit der Wahrnehmung meines Geschlechts durch andere zu tun haben.

Ich habe eine Hysterektomie hinter mir ohne Entfernung der Eierstöcke (2009?), d.h. da werden also auch noch Hormone produziert.

Ich bin weiß, inzwischen nicht mehr ganz jung (Ende 30, werde auf Ende 20 bis Mitte 30 geschätzt), ich bin schlank und groß (überdurchschnittlich groß für unsere Normvorstellungen von Frauen, das beeinflusst natürlich auch die Wahrnehmung meines Geschlechts).
Seit mehreren Jahren mache ich wieder vermehrt Sport, dadurch ist mein Körper muskulöser geworden, vor allem sind meine Schultern durch den Sport breiter geworden und ich hab mehr Arsch, hell yeah. 😀
Ich bewege mich eher feminin und kleide mich in femininer Männerkleidung. Auch das führt zu einer bestimmten Lesart meines Körpers im Raum.

Ich hab vor 10 Jahren unter Aufsicht meiner Hausärztin und ohne Endokrinolog_in mit Testogel angefangen, bis letztes Jahr hab ich diese silbernen Beutel benutzt (ich glaube zuerst die mit dem Schützen drauf, später Bayer?), nachdem es dort Lieferschwierigkeiten gab, nehme ich jetzt was aus einer Pumpflasche (Kade). Ich hatte großes, großes Glück mit meiner Hausärztin, weil sie bereit war, mich ausprobieren zu lassen und lediglich die Hormonwerte und mein allgemeines Wohlbefinden ärztlich zu begleiten. Ich bin ca. 4 mal im Jahr zum Hormontest und bewege mich zwischen Testo-Werten von 3,5 und 5,5 pg/ml (Pikogramm/Milliliter; Blutabnahme), meistens bin ich aber bei 4er-Werten. Das heißt ich bewege mich am unteren Ende der medizinischen Normwerte für Männer in meinem Alter.
Disclaimer: Normwerte – fuck them. Das ist rassistischer, sexistischer, normativer Müll und ich sag’s hier nur einmal als Anhaltspunkt.

Ich habe meine Testo-Dosis immer meinem Gefühl zu meinem Körper angepasst, nach oben habe ich aufgehört, wenn ich das Gefühl hatte, zu aufgeregt/schwitzig zu werden, nach unten, wenn ich (wahrscheinlich zyklisch bedingten) Ausfluss bekommen habe, was ich überhaupt nicht mag. Ich habe außerdem Depressionen, die merke ich auch mehr, wenn ich weniger Testo nehme. Allgemein habe ich inzwischen ein relativ gutes Gefühl zu meinem Körper auf Hormonen, d.h. ich merke meistens irgendwann selbst, wenn ich meine Dosis etwas anheben oder etwas senken sollte.

Ich habe über die Jahre viel rumprobiert und immer wieder meine Dosis geändert.
Die Dosis selbst lässt sich nicht 100%ig stabil einteilen, so wie ich das mache, d.h. meine Werte schwanken.

Angefangen habe ich relativ klassisch mit 25 mg-Beuteln täglich, auf die Oberarme verteilt, das hab ich ‘ne Weile gemacht. Die Veränderungen waren schnell spürbar: Als erstes und relativ früh leichte Vergrößerung der Klit, dann mit der Zeit Stimmbruch und etwas mehr Haare, stärkere Beinbehaarung, ein wenig mehr Bauch- und Brusthaare, relativ spät kleiner Bart.
Meine Brüste sind etwas kleiner geworden, fand ich bei einer C-Größe allerdings eher nicht merkbar.
Allgemein war ich emotional besser drauf.
Ich hatte einen Anstieg der Libido und hatte mit vergrößerter Klit mit 30 das erste Mal einen klitoralen Orgasmus. Danke Testo dafür. 😉 (Aber auch danke an meine Hand.)
(Ich bin großer Fan von differenzierten Gründen: Zu meiner Orgasmusfähigkeit gehörten sicherlich auch Dinge wie: Mehr Ruhe im Leben, mehr Selbstbestimmung, mehr Lust, selbst was auszuprobieren, mehr Queerness und BDSM auf eine Art, die ich gut fand. Ich hatte auch vor Testo eine hohe Libido.)
Zu der Zeit hatte ich mein wahrscheinlich ungebrochenstes männliches Passing, d.h. ich wurde in den meisten Fällen als (junger, häufig unter 20) Mann angesprochen. (Ich werde nicht mehr als Jugendlicher gelesen, seit ich Mitte 30 bin und nun doch mal ein paar Falten habe, das ist ganz angenehm.)

Ich hab nach etwa 3(?) Jahren angefangen, die Dosis runterzuschrauben, weil ich bestimmte Aspekte nicht so gut fand, insbesondere hatte ich das Gefühl, sehr doll und unangenehm unter Strom zu stehen, viel zu schwitzen und mich generell “klebrig” zu fühlen.
Ich bin kein Mann und ungebrochen so gelesen zu werden hat mich gestresst, genau so wie mich ungelesenes weibliches Passing stresst.
Und hatte ich Angst um mein Haupthaar, I shit you not.

Ich bin umgestiegen auf 50 mg/5 g-Päckchen und habe dann sehr viele Jahre ein Päckchen auf 3-4 Tage verteilt genommen. Auf die Oberarme; die Menge lässt sich natürlich nicht genau bemessen.

Zu der Zeit ist mein Passing zurückgegangen; meine Klit war konstant auf der gleichen Größe, ich hatte einen leichten Kinnbart, meine Stimme hat sich auf einem Stand irgendwo dazwischen eingependelt.

Als es Lieferschwierigkeiten mit den silbernen Beuteln gab, habe ich eine Zeitlang die Dosis extrem runtergeschraubt, bis hin zu nahezu kein Testo mehr. Der Grund war zunächst nicht freiwillig, aber dann fand ich es interessant mal zu gucken, wie es mir nach längerer Zeit so gefällt nahezu ohne Testo-Zugabe.
Zu der Zeit wurde meine Stimme wieder heller und mein Passing ist sehr stark Richtung weiblich gegangen. Ich war allgemein schlechter drauf, sehr viel melancholischer und hatte ab und an Schmerzen im Unterleib, die ich als zyklisch bedingte Schmerzen einordnen würde.
Es hat mir nicht gefallen, ich hab das Produkt gewechselt und bin wieder hochgegangen mit der Dosierung.

Ich bin umgestiegen auf die Kade-Pumpflaschen und habe mich über mehrere Monate an eine Dosis rangetastet, die mir jetzt gut gefällt. Aktuell nehme ich ca. alle 4 Tage einen Hub. Laut Flasche ist ein Hub 1,25 g Gel mit einem Gehalt von 20,25 mg Testosteron. D.h. ich komme auf ca. 5 mg Testosteron täglich und damit die niedrigste regelmäßige Dosis in der ganzen Zeit.

Ich bin nicht ganz regelmäßig, ab und zu nehme ich auch erst am 5. oder sogar 6. Tag wieder Gel, das liegt daran wie es mit den äußeren Umständen so zusammengeht.
Diese kleinen Schwankungen merke ich nicht, nur eventuell ein Schwanken in der Stimme, wenn ich wirklich mal 6 oder mehr Tage nichts nehme.

Meine Einschätzung zu den Folgen:
Ich habe Bart, aber sehr wenig. Es bleibt seit Jahren konstant bei einem kleinen Kinnbart, kein Schnurrbart, kein Wangenbart, keine Koteletten.
Ich habe eher wenig Körperbehaarung, außer vielleicht an den Beinen. Es haben sich ein paar Haare an den Schultern eingestellt, warum auch immer.
Meine Klit bleibt bei ihrer Größe, relativ stabil. Sie ist größer als früher ohne Testo, aber nicht so groß wie die klassischen Bilder, die eins von Testo-Klits im Netz finden kann. Ich bin sehr zufrieden. 😉
Mein Körper ist wahrscheinlich immer noch eher feminin, ich hab wie früher ‘ne wahrnehmbare Taille und Hüfte und ich kann nicht sagen, dass ich eine Veränderung in meiner Körperfettverteilung bemerkt habe (was natürlich nicht heißt, dass es sie nicht gab).
Ich habe das Gefühl, dass ich etwas besser Muskeln aufbaue als früher.
Ich habe nicht das Gefühl, dass sich mein Körpergeruch verändert hat.
Meine Stimme ist irgendwo in so einem Zwischenbereich hängengeblieben. Manchmal finde ich das etwas anstrengend, weil es sich anfühlt wie ein nicht zu Ende gedachter Stimmbruch und ich z.B. nicht gut laut reden oder rufen kann (da würde aber sicherlich Stimmtraining helfen), meistens mag ich meine Stimme aber gerade dafür, dass sie so trans* ist. Gehört wird sie mal als männliche, mal als weibliche Stimme, außer Leute können trans* Stimmen hören, dann werde ich als trans* wahrgenommen.
Meine Vaginalflora ist super (wurde gerade erst von einer Gyn in die Höhe gelobt, tjaha!) und ich habe keine Probleme mit Trockenheit. (Auch hier kurzer Disclaimer: Körper sind sehr unterschiedlich, vaginale Trockenheit ist nichts Schlimmes, sie muss nicht unbedingt mit der Testomenge zusammen hängen, Gleitgel ist toll.)
Ich bin jetzt offensichtlich auf einer Dosis, auf der ich ab und zu etwas aus meinem Zyklus spüre, ich habe aber kein pms oder andere Mens-zugehörige Schmerzen.
Ich habe weiterhin Depressionen (da ist Testo ja nun auch nicht das Heilmittel, ne?), hab aber wieder ein Level, das sich okay anfühlt.
Ich hatte über die ersten Testo-Jahre das Problem, nicht weinen zu können, das legt sich aber gerade wieder. Auch da ist Testo nicht alleine für verantwortlich.
Akne ist bei mir nicht schlimm, tritt aber auf, immer mal wieder im Kinn-/Halsbereich. Die kommt auch leider immer wieder, wenn ich mit der Dosis rumexperimentiere…
Inzwischen hatte ich eine Mastektomie und meine Experimente mit Testo haben weder das OP-Ereignis noch das Ergebnis negativ beeinflusst.
Mein Passing ist jetzt wohl am ehesten da, wo ich es gerne hätte; ich weiß nicht mehr, wie ich gelesen werde. Manchmal als männlich, gefühlt in mehr Fällen allerdings weiblich, auch immer wieder sehr abhängig davon, mit wem und wo ich unterwegs bin. Ich habe den Eindruck, dass ich viel queer gelesen werde, also wenn weiblich, dann häufig lesbisch, wenn männlich, dann häufig schwul. Wahrscheinlich werde ich auch viel trans* gelesen. Ich errege in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit und werde viel komisch angeguckt bzw. beobachtet, aber nicht mehr so viel gefragt, ob ich ein Mann oder eine Frau bin, dass ist interessanterweise irgendwann in den 30ern weniger geworden, vermutlich hängt es auch mit meinem wahrgenommenen Alter zusammen und dem dazugehörigen Privileg, dass Leute Jugendlichen mehr reinreden. Vielleicht hab ich auch mein grumpy face verbessert. 😀

Meinem Haupthaar geht’s fantastisch.

Fazit: Ich freue mich, dass ich die Möglichkeit habe, da so selbstbestimmt ranzugehen und ich mag das Zwischenergebnis sehr. Ich habe das Gefühl, dass ich mit der Zeit eine sehr gute Selbsteinschätzung entwickelt habe. Große Schwankungen in der Dosis sind anstrengend und es hat lange gedauert, an eine gute Dosis zu kommen, aber für mich lohnt es sich.

Außerdem bin ich sehr dafür, möglichst selbstkontrolliert mit dem eigenen Körper umgehen zu können. 🙂

 

***Update Mai 2020***

Ich habe erfahren, dass meine Art, Testo zu nehmen, wahrscheinlich nicht so sinnvoll ist! (Danke  an F. für den Hinweis!) Wahrscheinlich ist es für den Körper angenehmer, eine stetige, tägliche Dosis zu bekommen, als eine alle paar Tage bzw. halt mit einem Abstand zwischen den Dosen.

Ich hab deshalb vor ca. 2 Wochen angefangen, jeden Tag eine sehr kleine Dosis Testo zu nehmen. Sehr klein: Aus der Pumpflasche ca. 1cm Gel. Ich hab mir noch nicht so viele Gedanken dazu gemacht, wieviel das jetzt in Menge sein könnte, sorry! Ich merke, dass ich eh schlecht bin mit Mengenangaben, da schaltet sich mein Kopf gerne mal aus. Ich bemerke auch bisher keine Veränderungen in meinem täglichen Empfinden.

Das muss aber nichts heißen, weil gerade Allergiezeit für mich ist und mein tägliches Empfinden sowieso Achterbahn spielt. Ich hab z.B. viele Schwankungen in meiner Stimme im Moment, sowohl tageweise als auch über Tageszeiten. Das könnte am Testo, könnte aber auch an den Pollen liegen. Ich hab natürlich das Testo auch schon vergessen an einzelnen Tagen. Ob die Auswirkungen auf meine Stimme dann daran lagen oder am Heuschnupfen, werde ich wahrscheinlich im Moment einfach nicht sagen können.

Die Vermutung war, dass so was wie Moodswings, Müdigkeit und Energielosigkeit sich eventuell mit einer täglich etwa gleich bleibenden Dosis etwas mehr auf einem konstanten Level anordnen.

Ich bemerke bisher keine Veränderungen in den testobedingten Zuständen meines Körpers. Das heißt wahrscheinlich, dass ich die tägliche Dosis im Vergleich zu vorher ganz gut eingeschätzt und übertragen habe, so dass es keine große Veränderung in der Gesamtdosis gibt.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie es ist, wenn der Allergie-Mist mal durch ist.

Wer wird wie gelesen im Raum? Gefühle vs. Wahrnehmung vs. Verhalten or what?

Auf twitter hat @baum_glueck auf meinen eben gebloggten Text Heteroküsse… nachgefragt, auf wen sich meine Kritik bezieht:

„Die frage fuer mich grad is, gilt das fuer tatsaechliche cisheten, was du schreibst oder fuer das was wir wahrnehmen“

Ich hatte gedacht, dass das im Text schon rüberkommt, das ist aber offensichtlich nicht so, das tut mir leid. Beim drüber Nachdenken finde ich sowieso, dass es ein sehr komplexes Thema und eine wichtige Nachfrage ist, die noch mal einen eigenen Eintrag verdient. Also, danke an @baum_glueck für den Anstoß und los.
[Und @baum_glueck: Die diversen Kritikschleifen im folgenden Text beziehen sich nicht komplett auf Dich, sondern nur, soweit es Deine Nachfrage betrifft!]

In meinem Text ging es mir um ein Verhalten von Heter@s in queeren Räumen (zentral auf der Tanzfläche Raum einnehmen und rumknutschen), das ich bisher deutlich mehr als einmal erlebt habe und bei dem ich ein Muster vermute. Über das Muster hab ich geschrieben. Jetzt kommt der ausdifferenzierte Teil dazu, wer eigentlich gemeint ist oder auch nicht.

Bei den Malen, an die ich mich erinnere, gehe ich davon aus, dass es sich dabei um Hetero-Paare oder -Gruppen gehandelt hat und nicht um Leute aus LSBTQ Szenen / LSBTQ, die als heter@ gelesen werden können.

Meine Unterscheidung beruht vor allem auf Verhalten, also eigentlich auf Praxen und nicht auf Identitäten, wobei bei meinem Beispiel beides zusammenfällt, aber nicht zusammenfallen muss, das werde ich unten noch etwas genauer auseinandernehmen. Wenn das im vorherigen Text nicht deutlich geworden ist, dann tut es mir leid, vor allem entschuldige ich mich bei denen, die sich fälschlicherweise angesprochen gefühlt haben. Ich wünsche mir für meine Texte aber auch, dass sie als vielschichtig gelesen werden, ich freue mich über Nachfragen über Unklarheiten und finde es schade, wenn mir Sachen untergeschoben werden, die im Text so nicht stehen.

Ich gehe davon aus, dass sich subkulturelle Räume von hegemonialen Räumen durch die Regeln, die in ihnen gelten, unterscheiden. Das sind meist Regeln, die in der Mehrheitsgesellschaft nicht durchgesetzt, eventuell noch nicht mal verstanden werden können.

Beispiele aus dem queeren Spektrum dafür wären z.B. der Umgang mit casual sex im subkulturellen Raum schwuler darkroom oder die Fähigkeit, Gender_Geschlechterperformances anders wahrzunehmen in FLT*-BDSM-Kontexten als beispielsweise in heterodominierten BDSM-Kontexten. Im vorherigen Text habe ich über die von mir wahrgenommene Regel eines eher größeren queeren Raumes gesprochen: Rückzugsort und Entspannungsmöglichkeit (im Sinne von unter sich Party machen) für LSBT*Q(manchmal bzw. manche I) zu sein. Damit meinte ich, dass ein fröhliches, feierndes Aufhalten in diesem Raum ermöglicht werden soll, das Leute nicht sofort mit Unterdrückungsmechanismen „von dort draußen“ konfrontiert, sondern ein anderes Setting schafft, in dem Heteronormativität nicht die Hauptrolle spielt.

Das Wissen über die in subkulturellen Räumen herrschenden Regeln muss m.E. gelernt werden. Das passiert meiner Erfahrung nach über Partizipation (welcher Art auch immer: Hingehen, davon hören, mit Anwesenden reden, Texte über diese Räume lesen, Kunst aus diesen Räumen sehen/hören/… etc.) und muss auch nicht sofort da sein, sobald ich das erste Mal den Fuß/das Rad über die Schwelle gesetzt habe. Es ist eher ein subtiler Lernprozess, der sicherlich auch damit zusammenhängt, wie (oder ob überhaupt) in den jeweiligen Räumen sanktioniert wird.

Das heißt wiederum auch nicht, dass diese Regeln nicht verletzend oder ausschließend bestimmten Menschen gegenüber sind. Ein subkultureller Raum mit seinen eigenen Regeln ist nicht davor gefeit, andere hegemoniale Muster zu wiederholen. Das heißt auch nicht, dass es nicht Personen innerhalb dieser Räume gibt, die sich nicht nach diesen Regeln verhalten bzw. sie verletzend_übergriffig ignorieren. Die Regeln sind ja letztlich eben doch keine Zugangsbegrenzung, sondern halt eher meist unausgesprochene Übereinkünfte. Mit allen negativen Aspekten, die an unausgesprochenen Übereinkünften hängen.

Zurück zu den von mir häufiger wahrgenommenen und so eingeordneten knutschenden Heten auf der Queerparty.

Meine Einordnung als Heter@s beruht in diesem Fall auf einem Gefühl bzw. der Wahrnehmung, dass etwas nicht stimmt, dass mehrere Regeln oder Konstanten des Raumes gerade verletzt werden. Das hängt daran, wie ich die Aktionen der betreffenden Leute wahrgenommen habe und ich mache hier eine Auflistung, die ein Sammelbecken meiner entsprechenden Erlebnisse ist, aber nicht für jedes Erlebnis im Ganzen zutreffen muss:

  • Leute nehmen Raum ein, sind nicht auf die Umgebung bedacht, sind selbstvergessen und dabei grenzüberschreitend -> z.B.: Es ist gerade egal, ob andere hier eine Tanzfläche vermuten, dieses Paar muss hier einen Beziehungsstreit ausfechten.
  • Leute verhalten sich hegemonial genderkonform, allein, in Gruppen, in Zweierpaaren (in denen sie sich dann so genannt gegengeschlechtlich aufeinander romantisch beziehen; dazu schreibe ich unten noch was) -> z.B. Mackern, Darstellung von normativem Heterobegehren (und ja, dazu auch)
  • (männlich wahrgenommene) Leute verhalten sich (weiblich wahrgenommenen) Leuten gegenüber hegemonial genderkonform -> z.B. durch ungefragtes Anbaggern, Anfassen, Anlabern
  • Es findet eine Positionierung im Zentrum des Raumes und Lautsein im Sinne von sich auffällig machen statt -> z.B. bierseliges im Kreis rumstehen mitten auf der Tanzfläche, gemeinschaftliches T-Shirt ausziehen der männlich wahrgenommenen Personen oder über größere Distanzen hinweg Kontakt aufnehmen zu einer sich ähnlich hegemonial genderkonform verhaltenden Bezugsgruppe durch Schreien, Dinge hin und her werfen etc.

All das entspricht in meiner Wahrnehmung eher nicht den ungeschriebenen Regeln, die ich in einem queeren Raum erwarte. Ich vermute dann, dass die entsprechenden Personen sich so verhalten, weil sie die subkulturellen Regeln nicht kennen, sich nicht die Mühe machen, sie kennenzulernen oder sich darüber hinwegsetzen ODER gar nicht die Notwendigkeit haben, zu merken, dass dieser Raum anders sein könnte. In allen von mir erlebten Fällen fiel außerdem solches Verhalten mit einem sehr hegemonial genderkonformen Aussehen (Frisuren, Schminke, Kleidung, Accessoires) zusammen. An dem Punkt wage ich die Behauptung aufzustellen, dass es sich hier um heteronormative Personen handelt, die sich gerade dominant in Bezug auf den Raum und die übrigen Anwesenden verhalten.

Dann gibt es die vielen Leute, die in diesem ganzen queeren Spektrum existieren und immer wieder auch in queeren Räumen als heter@ gelesen werden (zu denen ich mal mehr mal weniger selbst gehöre, wie viele andere ja auch, surprise). Und das können ja viele sein: In der Alltagspraxis hetero begehrende Personen, hetero- oder andersbegehrende Trans*personen mit, ohne oder mit ambivalentem Durchgehen-im-Wunschgender, PoC und andere mehrfachzugehörige Leute. Meine Erfahrung ist, dass diejenigen, die als heter@ gelesen werden können und die sich queeren Räumen zugehörig fühlen, weil sie Alternativen zu heteronormativen Räumen bieten, sich nicht so wie oben beschrieben verhalten. Meine Erfahrung ist, dass das von mir kritisierte Verhalten immer wieder von einer ganz bestimmten Gruppe von Leuten kommt, die ich als hetero lese.

Und dann gibt es die Leute, die sich dem queeren Spektrum zugehörig fühlen und genau das Verhalten re_produzieren, dass ich oben beschrieben habe, z.B. Transmaskulinitäten, für die zum Männlich-Sein sexistisches Verhalten gehört oder Schwule, die Frauen übergriffig anfassen oder Butch-Femme-Paare, die sich über feminine Butches oder maskuline Femmes lustig machen. Und ob diese Leute von Aussehen her als cis_heter@ durchgehen oder nicht, für mein Gefühl brechen sie in diesem Moment ebenso ungeschriebene Regeln und verhalten sich nicht so, wie ich es mir auf einer queeren Party wünschen würde.

Das Äußere an sich kann m.E. hier keine klare und gültige Aussage über die Zugehörigkeit oder die Positionierung im Raum machen, weshalb ich es ja an Praxen kopple.
Gleichzeitig finde ich es schwierig, bei sehr heteronormativem, grenzüberschreitendem Verhalten zunächst mal zu diskutieren, ob Leute unpassenderweise als hetero gelesen werden oder nicht.
Da ergibt sich dann für mich eine Problematik queerer Räume: Wenn die Definition des Raumes an dem Punkt anhält, an dem ich „vom Aussehen nicht auf das Begehren von Leuten schließen darf“ (und das ist eine häufige Antwort, die ich auf Argumentationen wie die oben oder die im letzten Text höre), dann ist sie verkürzt und betreibt viel mehr Identitätspolitik als die Suche nach einem Verhaltenskodex auf queeren Partys. Mit der m.E. verkürzten – aber immer wieder gehörten – Argumentation, dass ich niemanden auf einer Queerparty einfach so (siehe dazu meinen Text oben) als heter@ labeln darf, verunmögliche ich die Diskussion über heteronormatives Verhalten und das offensichtliche momentane Scheitern einer Türpolitik auf Queerpartys.

Heteroküsse auf Queerpartys. Oder: Raumaneignungen.

Ich war neulich auf einer Soliparty zur Finanzierung einer größeren LSBTIQ-Veranstaltung. Die Party ist eine der größten in Hamburg, die sich noch unter dem Label queer verorten lässt, insofern ist klar, dass ziemlich viele Leute dahin gehen.
Trotzdem war ich zwischendurch ziemlich erschrocken, als ich mich auf der Tanzfläche plötzlich mit drei eng umschlungenden knutschenden Hetenpärchen konfrontiert sah.
Und ich so: Ey! Auf einer Queer-Party?!?

Okay, Kontextualisierung, denn so überraschend ist es ja doch nicht.

Wie gesagt, die Party ist sehr groß und viele (auch heterosexuelle) Leute gehen dahin.

Genau, es ist eine Party, da knutschen Leute, auch mal als Paar und auch mal eng umschlungen (das klingt so gut, das muss ich öfter schreiben).

Und wahrscheinlich ist das genau das, was gemeint ist, wenn Leute sich über die hetero Vereinnahmung von queer beschweren. Also eigentlich langweilig, das hätte ich wissen können.

Aber ich war so genervt, dass es mich Teile des Abends gekostet hat und mich diesen Text schreiben lässt.

Und jetzt muss ich dringend genauer werden, denn so, wie es da steht, bleiben zu viele Fragen offen.
Was genau fand ich denn so problematisch? Ich sehe schließlich jeden Tag knutschende Heteropärchen.

1. Woher will ich denn wissen, dass das Heteropärchen waren?
Das stimmt, ich sollte nicht nach Äußerlichkeiten gehen und einfach mal so Leute paarweise zu Heter@s erklären, nur weil sie gerade auf einer Party knutschen.

2. Wenn die Party queer ist, ist sie im Grunde offen für alle, die sich mit dem Label wohl fühlen oder auch nur Freund_innen haben, die sie gerne begleiten und sich mit ihnen solidarisieren wollen.

3. Was stört denn so massiv an knutschenden Paaren? Lass sie doch.

Für mich interessant wird es an der Stelle, an der ich mein Erlebnis mit anderen immer wieder ähnlichen Erlebnissen kurzschließe und meinen (knips) soziologisch motivierten Blick einen Moment länger darauf ruhen lasse.

Es ist nämlich nicht die erste queere Party, auf der mir das passiert. Es gibt viel mehr ein sehr deutliches Muster: Auf vielen queeren Partys, die keine strengen Einlassregeln haben und_oder keine wenig öffentlich angekündigten Subkulturveranstaltungen, sondern eher groß und frei zugänglich sind, passiert früher oder später folgendes:
Relativ zentral im Raum fangen Paare, die sich auf den ersten und zweiten und dritten Blick als Cismann und Cisfrau einordnen lassen, an, ihr Paarsein zu zelebrieren, meist durch intensives Rumknutschen. In diesem Fall durch Rumknutschen nichttanzend auf der Tanzfläche, also auch noch als Hindernis für alle, die tanzen wollten.

Die Frage ist: Warum auf der Queer-Party? Und warum so sichtbar, mitten im Raum? Und warum eventuell auch noch nichttanzend einen Tanzplatz einnehmend?

Und was mein queerfeministischer soziologischer Hirnlappen (no, don’t trust me on this) dazu ausspuckt:

Dies ist ein queerer, ein lesbischer, ein schwuler, ein bi, manchmal ein trans*, manchmal ein inter, ein bisschen ein poly, jedenfalls ein subkultureller Raum. Im Verhältnis zum hegemonialen Raum ist dieser Raum pervers, er ist anders und er folgt anderen Regeln. Die Regeln, denen er folgt, müssen innerhalb der Subkultur gelernt werden, das geht nicht über Queer-101-VHS-Kurse, sondern erfolgt subtil, gebunden an die Freund_innenschaften, die politischen Zusammenhänge, die Aktionsgruppen, zu denen eins sich zugehörig fühlt und Zugang hat.
Eine Regel in einem queeren Raum ist beispielsweise, dass sich Leute hier erholen können von den heteronormativen Zumutungen, denen sie täglich ausgesetzt sind.

[Queer – eingeschoben – ich pauschalisiere hier: Alle der oben genannten Kategorien haben wiederum sehr ausdifferenzierte Regeln in Bezug auf ihre sehr ausdifferenzierten Räume. Diese Regeln überschneiden sich teilweise, schließen sich aber an anderen Punkten aus oder sind zumindest weit voneinander entfernt, beispielsweise was die schwule+ und die FLT-BDSM/“rough sex“-Szenen angeht.]

Und ja: Knutschende Heteropärchen können eine heteronormative Zumutung sein. Denn sie sind eine Erinnerung daran, was in der Öffentlichkeit geht und was nicht. Sie sind eine Darstellung von Machtverhältnissen und schließlich: Sie sind aufdringlich in ihrer fröhlichen Unbesonnenheit.

Womit ich wieder zu meinem Punkt 1 komme: Wie kann ich denn sagen, ob das wirklich ein Hetero-Pärchen ist?
Genau genommen kann ich das nicht sagen. Was ich aber sagen kann ist, dass es sich hier um Pärchen handelt, die kein Gespür für den subkulturellen Raum mit seinen eigenen Regeln haben, in dem sie sich gerade bewegen. Das kann ich sagen, weil ich sehe und spüre, dass die gemeinten Pärchen gerade grundlegende (manchmal) unausgesprochene (manchmal auch nicht) Regeln dieses Raumes verletzen und missachten. Und das ist ein Luxus, nebenbei bemerkt.

Aber der queere Raum soll doch offen für alle sein.
Und das ist er auch (leider, manchmal). Trotzdem geht es auch anders und ich wage zu behaupten, dass der queere Raum eigentlich nur offen für all diejenigen ist, die Lust haben, sich mit den heteronormativen Regeln dieser Gesellschaft kritisch auseinanderzusetzen und ggf. auf bestimmte Handlungen an diesem speziellen Ort zu verzichten, weil sie wissen, dass diese Handlungen eine heteronormative Zumutung darstellen können in einem Raum, der dahingehend eigentlich als Oase gedacht ist.
Und es tut weh zu sehen, dass im Umkreis um die knutschenden Pärchen viele eingeschränkter werden, beobachten aber nicht aktiv werden, sich benehmen wie da draußen und nicht mehr wie auf der queeren Party, dem temporären Zuhause.

Heißt allerdings auch, knutschende Heteropaare auf Queer-Partys: Ihr merkt das vielleicht nicht, aber um euch rum sind viele, viele, die euch ganz genau im Blick haben, euer Tun analysieren und ganz genau merken, was ihr da tut. Und wir* reden darüber, ja, auch das.

*[Sorry again: Dieses wir ist sehr pauschal und ich hab es hier als emotionalen Ausrutscher eingesetzt. Gemeint sind viele oder auch einige, unter anderem ich, der_ ich mit Freund_innen über solche Vorkommnisse rede, sie analysiere, nebenbei auf der Party, länger im Nachhinein, mit Anlass oder auch ohne. Jedenfalls: Knutschende Heteropaare an queeren Orten gehören zu einem subkulturellen Wissen, wie Heteronormativität und Dominanz produziert wird.]

Und surprise (or not): Es geht nämlich auch anders. Ich kenne und sehe genug Heter@s oder Leute, die in Heterobeziehungen sind, die auf bestimmte Verhaltensweisen und Re_Präsentationen von Heterosexualität in queeren Räumen verzichten. Und ich nehme an, dass sie das tun, weil sie sich mit den Räumen auseinandergesetzt haben und ebenso die Regeln gelernt haben. Und btw: Das ist ein Abend des Verzichts.

Wenn ich nach Gründen für heterosexuelle Performances in queeren Räumen suche, dann lande ich sehr schnell bei Aneignung.
Ich gehe davon aus, dass die Tanzfläche blockierende knutschende Heteropärchen dem Drang nachgehen, in diesem (huch!) perversen, anderen, queeren, nicht einschätzbaren und verunsichernden (denn ich habe die Regeln nicht verstanden!) Raum die eigene, gesellschaftlich dominante Normalität wieder herstellen zu müssen. Demonstrativ (in der Mitte des Raumes) zur Schau gestelltes (das kommt euch vielleicht nicht so vor, anderen aber umso mehr) hetero erscheinendes Knutschen ist also im Grunde genommen eine Re-Aneignung des Raumes, ein Besetzen eines temporär nicht-normativen Ortes. Es ist eine stabilisierende Reaktion auf die Verunsicherung der eigenen heterosexuellen Identität. Es ist eine Demonstration, wer sich gesellschaftlich was leisten kann, ohne sanktioniert zu werden.
Im Grunde ist es auch ein sehr verdrehtes Eingeständnis: Diese Umgebung macht Angst, die Queerness, das Unverständliche, das Andere und das Perverse, es ist nicht aushaltbar, wenn es nicht sofort als etwas markiert wird, zu dem ich nicht gehöre.

In diesem Moment wird den übrigen Besucher_innen der Veranstaltung gezeigt, dass sich hier einige nicht den Regeln des Raumes beugen wollen und es auch nicht müssen. Also wird ein Machtgefälle wieder_hergestellt, das sowieso schon existiert, auch in diesem Raum, immer.
Und präsentiert wird eine Performance, die sich so viele andere Räume schon angeeignet hat und sich problemlos zeigen kann, warum also nicht auch hier: Heterosexualität, ein ganz bestimmtes, normativ an Gender gekoppeltes Verhalten, Paarnormativität und die Normalisierung des Austausches intimer Tätigkeiten an allen denkbaren Orten. Aber eben nur heterosexueller Tätigkeiten.

tl;dr1: Leute, da draußen stehen euch zig andere Partys, öffentliche und private Veranstaltungen, der öffentliche Raum etc. zur Verfügung, um eng umschlungen rumzuknutschen. Eine Party wie diese gibt es in Hamburg genau zwei mal im Jahr. Warum also hier?

tl;dr2: Liebe heteronormative Menschen, eine queere Party bedeutet nicht, dass alle Normativitäten hier erst recht ihren Platz haben. Rumknutschen kann nicht verboten werden, aber euch sollte klar sein, dass – wenn ihr in queeren Räumen auf diese Art Heteronormativität produziert – ihr gerade aktiv subkulturelle Räume, Rückzugs- und Entspannungsmöglichkeiten zerstört.

Nachtrag 1: Natürlich bin ich nicht der_ erst_e, der_ dazu was geschrieben hat. Deshalb auch z.B. bitte hier lang zur Mädchenmannschaft: Hat jemand „Knutschverbot“ gesagt?! – Critical Hetness 101

Nachtrag 2: Es gab sofort die Nachfrage, für wen meine Kritik gelte, ob sie sich auch auf Personen bezieht, die als cisheter@ durchgehen. Dazu schreib ich noch mal was in einem separaten Text.